Wie österreichische Unternehmen in Russland weitermachen, diese Frage sorgt seit Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 für anhaltende Debatten. Die Raiffeisen Bank International (RBI) beispielsweise verspricht das Zurückfahren ihrer hochprofitablen Geschäfte in Russland samt Verkauf der Tochter in Moskau. Doch kürzlich berichtete die "Financial Times", dass die RBI in Russland rund 2400 Jobs ausgeschrieben habe – was gar nicht zu diesem Bekenntnis passt. Überdies wird die Europäische Zentralbank (EZB) bald die RBI rüffeln, weil ebenjener Rückbau zu langsam erfolgt, wie die RBI selbst am Donnerstag vorauseilend mitteilte.

Doch nicht nur die Engagements von österreichischen Unternehmen in Russland sorgen für Diskussionen. Interessant ist auch der Blick in die Gegenrichtung: auf russische Investitionen in Österreich.

Roter Platz
Zwischen Russland und dem Westen sind dunkle Wolken aufgezogen – auf die Investitionsfreude russischer Geldgeber in Österreich hat sich dies jedoch nicht ausgewirkt.
EPA/MAXIM SHIPENKOV

Es zeigt sich: In kaum einem anderen Staat dürfte so viel russisches Geld investiert werden wie in Österreich. Das geht aus dem sogenannten Investitionskontrollbericht hervor, den das Wirtschaftsministerium von Martin Kocher (ÖVP) einmal jährlich herausgibt und dessen jüngste Version soeben erschienen ist.

Nummer zwei hinter Zypern

Laut Daten der russischen Nationalbank lag demnach Österreich im Jahr 2021 – also knapp vor Ausbruch des Ukrainekriegs, neuere Daten liegen nicht vor – auf Platz zwei der Zielländer russischer Investitionen weltweit. Bei knapp 26 Milliarden US-Dollar stand deren Wert 2021 in Österreich. Eine höhere Summe hatte lediglich Zypern, ein traditioneller Knotenpunkt russischen Kapitals, mit ganzen 205 Milliarden Dollar. Hinter Zypern und Österreich folgen die Niederlande (22 Milliarden), die Kanalinsel Jersey (20 Milliarden) und die Schweiz (20 Milliarden).

Auch jüngere Daten aus der Zeit nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs deuten auf die große Bedeutung russischen Kapitals in Österreich hin. Laut Investitionskontrollbericht waren im Jahr 2022 die wichtigsten Herkunftsländer von Investoren in absteigender Reihenfolge: Deutschland, Russland, die Schweiz, die USA und Italien. Was Russland betrifft, kam "es auch im Jahr 2022 zu Zuwächsen der FDI", liest man im Bericht (FDI steht für "Foreign Direct Investments", also ausländische Direktinvestitionen). "In den Jahren 2013 und 2014 stieg der FDI-Bestand russischer Investoren stark an. Dies fällt in denselben Zeitraum wie Russlands Annexion der Krim, wo zahlreiche westliche Sanktionen gegenüber Russland verhängt wurden. Nach Deutschland ist Russland seitdem das wertmäßig zweitwichtigste Herkunftsland von FDI-Beständen in Österreich."

Kein Rückgang mit dem Krieg

Der Krieg seit 2022 hat sich auf das Ausmaß russischer Investitionen nicht dämpfend ausgewirkt – im Gegenteil. Laut Oesterreichischer Nationalbank (OeNB) stieg der Wert russischer Investitionen in Österreich im ersten Halbjahr 2022 um 14 Prozent an, auf 25,5 Milliarden Euro. Wohlgemerkt, dies geschah ausgerechnet zu einer Zeit, als Putins Regime den strengsten Sanktionen aller Zeiten unterworfen wurde, Geschäfte mit Moskau zurückgefahren und Finanztransaktionen strenge Restriktionen auferlegt wurden. In der Gegenrichtung – also bei österreichischen Investitionen in Russland – nahm der Wert übrigens im selben Zeitraum im Jahr 2022 stark ab, konkret um 27 Prozent.

Warum scheinen die russischen Investitionen in Österreich ausgerechnet zu Kriegszeiten derart zu florieren? Und um welche handelt es sich überhaupt? Den Versuch einer Erklärung liefern Experten der OeNB im Investitionskontrollbericht: Die russischen Investitionen würden "einen hohen Anteil an Durchlauf- oder Durchflusskapital" aufweisen, heißt es. Heißt, Geld kommt aus Russland nach Österreich, um es "in unmittelbarer zeitlicher Nähe" wieder zu verlassen – in der Statistik gilt dies dann trotzdem als Investition. Grob geschätzt könnte es sich bei rund zwei Dritteln der gesamten russischen Investitionen um dieses Durchlaufkapital handeln. Was steckt dahinter? Die OeNB argumentiert, dass einige große Unternehmen russischer Herkunft von Österreich aus Teile ihrer Europaaktivität steuern würden – und demnach Geld von Moskau über Wien ins restliche Europa fließe. Beispiele wären der Ölkonzern Lukoil, die (mittlerweile insolvente) Gazprom Austria und die (mittlerweile verkaufte) Österreich-Tochter der Sberbank.

Es bleiben allerdings gewichtige Fragen offen. Selbst wenn die Rolle des Durchlaufkapitals groß ist – warum floss ausgerechnet rund um den Kriegsbeginn derart viel Geld an Österreich-Töchter russischer Konzerne? Und abgesehen vom Durchlaufkapital – wer sind die rätselhaften Investoren aus dem Kriegsland, und inwieweit sind sie mit dem russischen Regime verbunden? Solche Fragen lassen sich vorerst nicht beantworten, weil die offiziellen Statistiken statt Detailinformationen nur Gesamtwerte enthalten. Klar ist aber, dass Österreich für russisches Geld ein enorm wichtiger Umschlagplatz ist – und bleibt. (Joseph Gepp, 19.4.2024)