Hana (Ryo Nishikawa) lebt mit ihrem Vater Takumi (Hitoshi Omika) im Einklang mit der Natur.
Hana (Ryo Nishikawa) lebt mit ihrem Vater Takumi (Hitoshi Omika) im Einklang mit der Natur.
Pandora Film

Ein wenig verschmutztes Grundwasser sei gar nicht so schlimm für die Umwelt. Das erklären die Vertreter eines großen Unternehmens den Bewohnerinnen und Bewohnern des kleinen japanischen Dorfes Mizubiki. Der von großen Firmen vorangetriebene Kapitalismus zerstört unsere Umwelt. Eine traurige, aber keine besonders neue Erkenntnis. Regisseur Ryûsuke Hamaguchi wurde 2022 mit dem Oscar für den besten internationalen Film ausgezeichnet. Drive My Car, nach einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami, ist eine langsame und schweigsame Traumabewältigung im Auto. Auch im letztjährigen Silberner-Löwe-Gewinner von Venedig, Evil Does Not Exist, passiert wenig, dafür steckt umso mehr in den kleinen Gesten und Details. In dem, was nicht gesagt wird.

Takumi (Hitoshi Omika) und seine Tochter Hana (Ryo Nishikawa) führen ein bescheidenes Leben im Einklang mit der Natur. In dem idyllischen Dorf wird das Holz selbst gehackt, und das Wasser ist kristallklar. Beim Stapfen durch den Wald hört man den Schnee unter den Schuhsohlen knirschen, und man sieht die Spuren der Rehe – das Ökosystem funktioniert hier scheinbar noch. Eine Agentur aus Tokio plant, genau dort eine Glamping-Anlage zu errichten. Glamping steht für glamouröses Camping, richtiges Outdoor-Feeling, aber mit größtmöglichem Komfort. Das Unternehmen sieht kein Problem darin, dass dieses Projekt, was den Umweltschutz angeht, nicht besonders ausgereift ist; außerdem ist man sich sicher, wenn man Takumi überzeugen kann, stimmen auch die anderen Menschen im Dorf zu.

Tragische Schönheit

Evil Does Not Exist verliert sich aber nicht in plakativer Kapitalismuskritik, sondern entwickelt sich zur feinfühligen moralischen Parabel, die die Sehgewohnheiten herausfordert. Fast schon friedlich fängt der Film die Schönheit der Natur in langen statischen Szenen ein. Wir erleben die lokalen Routinen und die Sorge um die Qualität der selbstgemachten Udon-Nudeln, wenn das Wasser verschmutzt wird. Im Dickicht der Zweige und Äste verdichtet sich in spärlich gesäten Dialogen auch das Verhältnis zwischen den Vertretern des Unternehmens und den Bewohnerinnen und Bewohnern des Dorfes. Untermalt wird das von einem betörenden Soundteppich von Eiko Ishibashi, der sich meditativ über den Baumkronen der Kiefern ausbreitet.

Polyfilm Verleih

Am Ende bleiben viele Fragen offen. Die klassische Rollenverteilung von Gut und Böse gibt es hier nicht. Menschen können sich hinterfragen, sich verändern – innerlich mit ihrer Aufgabe kämpfen. Während ein Vertreter des Unternehmens beim Holzhacken zu sich findet, wird deutlich, dass auch im Einklang mit der Natur nicht alles in Ordnung ist. Evil Does Not Exist ist ein trauriger und wütender Film, der dabei so sensibel ist wie die handelnden Charaktere selbst. Ohne sich aufzudrängen, werden die feinen, grauen Zwischentöne verhandelt. Ryûsuke Hamaguchi erzählt damit im Kleinen eine ganz große Geschichte. Man muss dafür nicht einmal den Wald verlassen. (Jakob Thaller, 19.4.2024)