Eine georgische Demonstrantin hält ein Plakat mit der Aufschrift
"Nein zu Russland, ja zu Europa": Für die Demonstrierenden ist es eine Richtungsentscheidung.
REUTERS/Irakli Gedenidze

Mit aller Kraft schwenkt die 48-jährige Nana Malashkhia auf der Demonstration die EU-Fahne. Mund und Nase hat sie mit einer Maske verhüllt, gegen die beißenden Tränengasschwaden der Polizei. Das Foto ist berühmt geworden, wird von vielen Medien abgedruckt. Ein Sinnbild für die Zerrissenheit Georgiens zwischen der EU und dem Verbleib in der russischen Welt. Ein Sinnbild auch für den Machtkampf zwischen der proeuropäischen Präsidentin Salome Surabischwili und der nationalkonservativen Regierungspartei Georgischer Traum, die eher russlandfreundlich ist. Und Nana Malashkhia? "Jetzt, da es erneut Proteste gegen das russische Gesetz gibt, gehe ich morgens zur Arbeit, und nach der Arbeit gehe ich zur Kundgebung und bleibe bis spät in die Nacht", erzählt sie dem STANDARD.

Das "russische Gesetz" ist der Auslöser der Demonstrationen in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Es sieht vor, dass Organisationen, die Geld aus dem Ausland bekommen, diese Finanzquellen offenlegen müssen. Die georgische Regierung will so nach eigenen Angaben für mehr Transparenz sorgen und das Ausmaß ausländischer Einflussnahme stärker kontrollieren. Viele Projekte der Zivilgesellschaft und zur Demokratieförderung in Georgien werden vom Westen finanziert, auch mit Geldern aus der EU und den USA.

Gegen das geplante Gesetz protestieren in Georgiens Hauptstadt seit Tagen tausende proeuropäische Demonstranten. Die Polizei geht mit Gewalt gegen die Menschen vor. Sicherheitskräfte hätten Pfefferspray eingesetzt, berichteten örtliche Medien. Es gab Festnahmen. Das Innenministerium meldete, ein Polizist sei verletzt worden. "Die Regierung versucht, uns zu ermüden. Das sollte nicht passieren. Jetzt wird über das Schicksal Georgiens entschieden", sagt die Studentin Salome Gigiberia dem STANDARD. "Wir haben gesehen, was in Russland passiert ist. Wir wählen das Neue, wir wählen den Westen, wir wählen Europa", ergänzt Irakli Kwirikadse, ihr Kommilitone.

Entfernung von EU?

Dieses Gesetz sei nicht zum Wohl des Landes und der Menschen, meint wiederum der Schauspieler Giviko Barataschwili. "Im Gegenteil, sie benötigen dieses Gesetz, um ihre politische Macht zu stärken. Es ist ein wichtiges Instrument der Zensur, wie wir es in anderen Ländern, allen voran in Russland, gesehen haben."

Kritiker befürchten, dass die Regelung – nach dem russischen Vorbild des Gesetzes über sogenannte "ausländische Agenten" – missbraucht werden könnte, um prowestliche Kräfte politisch zu verfolgen. Präsidentin Surabischwili kritisiert, bei dem Gesetz handle es sich um eine Provokation. Es spiele der russischen Strategie der Destabilisierung Georgiens in die Hände, sagt sie. EU-Ratspräsident Charles Michel erinnert daran, dass Georgien im vergangenen Dezember den Status als Beitrittskandidat der Europäischen Union erhalten habe. Das neue Gesetz sei damit nicht vereinbar. Diese Initiative werde Georgien weiter von der EU entfernen und nicht ihr näherbringen, schrieb er auf X.

Dagegen wies die Regierungspartei Georgischer Traum die "Einmischungsversuche des Westens" zurück und betonte, dass es sich um ein Gesetz im Interesse des Landes handle. Trotz Appellen der EU-Staaten werde der Entwurf nicht zurückgezogen, hieß es. Ministerpräsident Irakli Kobachidse verwahrte sich gegen die Kritik. Die ausländischen Kritiker lieferten keine Argumente dazu, was an dem Gesetz falsch sei, sagte er vor Journalisten. Ohne Argumente gebe es aber für die Regierung keinen Grund, an dem Vorhaben etwas zu ändern. Nötig sei eine offene Diskussion. Georgien sei "ein kleiner, aber unabhängiger und stolzer Staat", sagte Kobachidse. "Wir erlauben niemandem, uns ohne Argumente etwas vorzuschreiben."

Moskaus Tourismusoffensive

Noch 2023 hat die georgische Führung das Gesetz nach massiven Protesten zurückgezogen. Jetzt treibt die Regierung das Vorhaben trotz der Demonstrationen voran. Das Parlament stimmte inzwischen unter Boykott von Oppositionsabgeordneten in erster Lesung für den Entwurf, zwei weitere Lesungen müssen noch folgen. Das geplante Gesetz gilt als Test dafür, ob sich Georgien 33 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiter dem Westen annähert oder sich wieder stärker an Russland binden will.

Die russische Führung in Moskau erklärt dazu, sie habe nichts mit den Gesetzesplänen der georgischen Regierung zu tun. Die Pläne würden allerdings von externen Akteuren benutzt, um antirussische Stimmung zu schüren, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Georgien in der EU? Russland möchte das natürlich verhindern. Doch diesmal schickt Kreml-Chef Wladimir Putin keine Soldaten, sondern Touristen. Erstmals seit 2019 erlaubte Russland 2023 wieder Direktflüge nach Georgien. Russische Billig-Airlines fliegen nunmehr täglich in die georgische Hauptstadt. Das soll den Tourismus ankurbeln, Geld ins Land bringen und für eine russlandfreundliche Stimmung sorgen. (Jo Angerer, 19.4.2024)