Der deutsche Salafistenprediger Marcel Krass.
Marcel Krass erreicht mit seinen Videos zu alltäglichen Fragen von Muslimen teilweise eine enorme Reichweite.
Youtube-Screenshot/ Föderale Islamische Union

Marcel Krass spricht ruhig. Seine Stimme hat etwas Abgehacktes, aber auch etwas Verbindendes. Krass wirkt vertrauensvoll. Selbst wenn seine Reden in minutenlange Monologe ausarten. Und genau das macht ihn aus Sicht von Staatsschützern so gefährlich.

Krass ist einer der bekanntesten Salafisten Deutschlands. In seinen Videos auf Tiktok, Youtube und Co beschäftigt er sich mit Lebensfragen aus dem Alltag von Musliminnen und Muslimen. Krass tritt dabei in Hemd und mit makellos gestutztem Bart auf. Einen radikalen Eindruck macht er nicht. Doch den Islam legt er stellenweise durchaus rigide aus: In einem Video beschreibt Krass Homosexualität sinngemäß als eine Neigung, gegen deren sexuelles Ausleben angekämpft werden müsse, um am Ende des Lebens ins Paradies zu kommen. Das sei so wie bei einem Glas Whisky oder bei Spareribs. Beides sei Muslimen verboten. Das Video zählt 105.000 Aufrufe auf Youtube.

Ein Plakat im Stile eines Popstars

Ende März hatte Krass in Wien seinen großen Auftritt. Sein Gesicht prangte auf einem Plakat, als wäre Krass der Popstar einer weltweit bekannten Band. Mit dem unverdächtigen Slogan "Einsatz für Veränderung" wurde zu einer Wiener Adresse geladen. Der Eintritt: eine Spende von 35 Euro. Das Event war laut Eigenangaben ausverkauft.

Veranstaltet hat es Cage Austria, der österreichische Ableger einer Initiative mit Sitz in Großbritannien. Hierzulande ist Cage bisher vor allem mit Meldungen zur höchst umstrittenen Operation Luxor gegen angebliche Muslimbrüder und mutmaßliche Mitglieder der Hamas-Terroristen aufgefallen. Wie viele bei Krass' Auftritt in Wien im Publikum saßen, lässt Cage Austria unbeantwortet. Besucht wurde das Event in Wien wohl auch von Aktivistinnen und Aktivisten der antiisraelischen Protestgruppe BDS.

Cage Austria geht auf die Fragen des STANDARD zu Krass gar nicht ein. Die Initiative hält allgemein fest, dass das Event organisiert wurde, "um Personen zu ermächtigen, islamophobe Narrative zu konfrontieren und staatlich unterstützte Einschüchterungen unserer muslimischen Gemeinschaft zu widerstehen".

Werbeplakat für Auftritt von Marcel Krass. 
"Sold out": Das Event von Marcel Krass in Wien war laut Eigenangaben des Veranstalters recht bald ausverkauft.
Screenshot/ Cage Austria

Diese Vorgeschichte um Marcel Krass ist deshalb relevant, weil Cage nun selbst auf einem Podium sitzt. Und zwar bei einer Veranstaltung der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus sowie des Instituts für Orientalistik der Uni Wien. Diese findet von 19. bis 20. April unter anderem in Räumlichkeiten der Universität Wien sowie im ehemaligen Afro-Asiatischen Institut statt, das wiederum in die Zuständigkeit der Wiener Erzdiözese fällt. Der Eröffnungsvortrag dreht sich um Islamophobie, andere Beiträge beschäftigen sich etwa mit "rassismuskritischen Ansätzen im österreichischen Bildungswesen" oder "antimuslimischem Rassismus und seiner Verdrängung".

Auf einem Podium zu "Institutionen und Akteur*innen von Sicherheitswissen" im ehemaligen Afro-Asiatischen Institut ist schließlich Cage Austria vertreten. Spielt Krass' Auftritt für die Dokustelle, den Veranstalter der Konferenz, irgendeine Rolle? Die Dokustelle verweist darauf, dass sie weder an der Veranstaltung von Cage Austria teilgenommen noch diese unterstützt oder mitorganisiert habe. "Wir haben die Sprecher*innen aufgrund ihrer spezifischen Perspektive zu den Konferenzthemen eingeladen", heißt es in einer Stellungnahme. Es sollen die Lebensrealitäten von Communities beleuchtet werden. Die Universität Wien wiederum betont, dass die Dokustelle die Einladungsliste erstellt habe. Auf dem Programm prangt allerdings ebenso das Logo des Instituts.

"Feste Größe in der salafistischen Szene"

In Deutschland sorgen die Auftritte von "Wanderprediger" Krass derweil vor allem für eines: Aufregung. In Hamburg beispielsweise lockte Krass erst kürzlich einige hundert Leute in einen Festsaal in Billbrook. Der Veranstalter kannte ihn nicht. Darauf hingewiesen, wollte der Inhaber das Event angeblich rasch absagen – vergeblich. In Berlin wiederum kündigte der Vermieter einer Location im Jahr 2023 einen Vertrag mit Krass, der dort Ende April ein "Seminar" abhalten wollte.

Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beschreibt Krass als eine "seit zwei Jahrzehnten feste Größe in der salafistischen Szene in Deutschland". Und er sieht Krass in einem größeren Netzwerk deutscher Salafisten, die unter anderem auf Tiktok junge Menschen ködern. Dazu werden etwa Pierre Vogel und Abul Baraa gezählt.

Gerade von Letzterem kursieren Predigten, in denen er verneint, dass Muslime mit einem Kafir, also einem Ungläubigen, befreundet sein dürfen ("Das ist entgegen unserer Religion"), und behauptet, dass es eine allgemeine muslimische Regel gebe, wonach Frauen "nicht grundlos" das Haus oder die Wohnung verlassen dürfen. Vogel wiederum gab kürzlich selbst auf Tiktok bekannt, dass gegen ihn angeblich ein Einreiseverbot in Österreich erlassen wurde.

In seinem Bericht über Krass vermerkt der deutsche Verfassungsschutz überdies, dass er um die Jahrtausendwende Kontakte zu Ziad Jarrah gepflegt haben soll, einem der Attentäter der 9/11-Anschläge auf das World Trade Center. Unter anderem zu einer Zeit, als sich Jarrah in einem Trainingslager der Terroristen von Al-Kaida aufgehalten habe.

Auch heute soll Krass wenig Berührungsängste gegenüber besonders einschlägigen Gruppierungen haben: etwa zu einer Hizb ut-Tahrir-nahen Gruppe. Die Hizb ut-Tahrir an sich beschreibt die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung als klar antisemitisch. Und ihr Ziel sei die "Herrschaft eines umfassenden Kalifatstaats", in dem die Rechte der Scharia gelten. (Jan Michael Marchart, 19.4.2024)