Salman Rushdie mit seiner Ehefrau Eliza Griffiths.
Salman Rushdie mit seiner Ehefrau Eliza Griffiths. "Sie war fast genauso schlimm verletzt worden wie ich", schreibt er in "Knife".
Penguin Random House

In der dem Magischen zugeneigten Schreibwelt Salman Rushdies gibt es zwei neue Figuren: den "Engel des Todes" und den "Engel des Lebens". Ersterer ist Namensgeber des ersten Kapitels in Knife, das das islamistisch motivierte Messerattentat auf ihn im August 2022 auf einer Bühne in den USA und die unmittelbare Genesungszeit danach thematisiert, der zweite begleitet seine "Rückkehr" ins Leben. "Ich war wie erstarrt", schreibt der Autor auf den 250 Seiten über die Augenblicke, in denen der Attentäter ihm das Messer in Brust, Arme und Gesicht stieß – 33 Jahre nach Ausrufung der Fatwa gegen ihn wegen der Satanischen Verse: "Warum heute? Echt jetzt?"

Rushdie ist seither auf dem rechten Auge blind, das Gefühl im Arm hat er wieder. Für sich nennt er den Täter "Arschloch", in Knife belässt er es bei "A". Warum der junge Mann, der Rushdies Werk kaum kannte, ihn angriff, will der heute 76-Jährige herausfinden. Spoiler: Es wird nicht gelingen. Ein angestrebtes Treffen wird nicht stattfinden, weshalb Rushdie nun nur ein imaginäres Gespräch mit dem Täter führt. Religion erklärt er jedenfalls zur Privatsache – und wenn Gläubige anderen etwas aufzwingen wollen, "ist das ein Problem". Egal ob jemand Islamist sei, US-Radikalchrist, der Abtreibungen verbieten will, oder nationalistischer Hinduist.

Chronikalisch und privat

Derart lässt Rushdie beiläufig schablonenhafte Überlegungen zur größeren Weltlage (auch Brexit) fallen. "Falsche Narrative" erkennt er als Problem, und auch wenn ein Roman keine Bombe entschärfen könne, könne man als Autor "die Wahrheit sagen", sei somit "alles andere als hilflos". Grundsätzlich ist Privatheit das treffendere Stichwort für Knife. Sehr chronikalisch schildert Rushdie die Stationen der Genesung, von der Intensivstation (das "enorm angeschwollene Auge war aus seiner Höhle gequollen und hing wie ein riesiges weich gekochtes Ei an meinem Gesicht") über die Überstellung heim nach New York (wie schmerzhaft es ist, als zum Schutz des Auges die Lider vernäht werden) bis zur Reha (wie man einäugig Wasser einschenkt). Sogar wie Medikamente zu Problemen beim Pinkeln führen, lässt er wissen. Wollte man das ohne den schockierenden Angriff lesen?

Ein bisschen fühlt es sich an wie moralische Pflicht, ein bisschen wie aufgezwungener Voyeurismus. Das gilt auch für die weiten Teile, in denen er die Liebe zur Dichterin Eliza Griffiths, die er 2017 kennenlernte, feiert. Die Kraft, die ihm das gibt, gönnt man ihm aber von Herzen! (Michael Wurmitzer, 18.4.2024)