Es bleibt eines der zentralen Rätsel der skandalösen Hausdurchsuchung im Verfassungsschutz im Februar 2018: Warum wurde ausgerechnet das Büro von Sibylle G., der damaligen Referatsleiterin für Extremismus, stundenlang durchwühlt, obwohl die Beamtin keine Verdächtige war?

Jan Marsalek lieferte auch Gerüchte zur "Liederbuch-Affäre" ins BVT – und Abteilungsleiter Martin Weiss (Mitte) belastete eine Kollegin.

Vergangene Woche wurde die Rechtsextremismus-Expertin erneut in einem U-Ausschuss befragt, das vorläufige Protokoll ihrer Aussagen liegt dem STANDARD und dem Investigativpodcast "Die Dunkelkammer" vor. Das Dokument zeigt, dass G. dem Parlament eine brisante Verbindung zwischen dem mehrfach verurteilten Neonazi Gottfried Küssel und dem Polizeioberst Wolfgang Preiszler offenbarte, der die Razzia im Verfassungsschutz geleitet hat.

"Mailausdruck"

So habe sich auf G.s Schreibtisch der Ausdruck einer E-Mail gefunden, in der Küssel einige Personen zu einer Veranstaltung eingeladen habe. Auf diesem Verteiler habe sich auch Preiszler befunden. "Wie ich erfahren habe, wer der operative Einsatzleiter bei der Hausdurchsuchung ist, habe ich meinem Vorgesetzten, der neben mir gestanden ist, noch gesagt: Ich bin neugierig, ob sie auch den Mailausdruck von Gottfried Küssel finden", sagte G. vor dem U-Ausschuss. Als sie später ihr Büro aufgeräumt habe, sei das Dokument nicht mehr da gewesen, erklärte G. später.

Welche Verbindung er zu Küssel habe und ob er von der Einladung gewusst habe, beantwortete Preiszler auf Anfrage des STANDARD nicht.

Die Auswahl von Preiszlers Einsatzgruppe gegen Straßenkriminalität (EGS) für die Durchführung der Razzia hatte stets für deutliche Kritik gesorgt.

Peter Goldgruber, damals Generalsekretär von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), hatte der ermittelnden Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die EGS vorgeschlagen. Der Grund dafür waren angeblich Befürchtungen, andere Polizeieinheiten – etwa das eigentlich zuständige Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) – würden ihre Kolleginnen und Kollegen im Verfassungsschutz vor der Durchsuchung warnen. Die Opposition vermutete hingegen, man habe eine Einheit mit Nähe zur FPÖ auswählen wollen.

Preiszler, der FPÖ-Politiker

Preiszler ist der Sohn des früheren niederösterreichischen Landtagsabgeordneten Alois Preiszler (FPÖ), er hatte sich zur Zeit der Razzia auch selbst lokalpolitisch bei den Freiheitlichen engagiert und war Gemeinderat in Guntramsdorf.

Rassistische Facebook-Postings von Preiszler, die nach der Razzia entdeckt wurden, sorgten für Entsetzen und Ermittlungen, die 2018 aber eingestellt wurden. Auf der Plattform ist Preiszler offenbar mit der langjährigen FPÖ-Mitarbeiterin Elisabeth "Lily" Keyl befreundet. Sie war im Jahr 2010 mit Küssel bei einer Burschenschafterfeier aufgetaucht, die in einer Prügelei endete. Ihr Ehemann Hubert Keyl, mittlerweile Landtagsabgeordneter in Niederösterreich, wurde dabei im Gesicht verletzt.

Udo Landbauer (rechts) wurde 2018 von der Liederbuch-Affäre getroffen. Reinhard Teufel (links) war damals Bürochef von Kickl – und erhielt von Johann Gudenus Preiszlers Kontaktdaten
APA/HELMUT FOHRINGER

In Guntramsdorf saß Preiszler mit Christian Höbart im Gemeinderat, er war bis Sommer 2018 auch geschäftsführender Obmann der FPÖ Niederösterreich. Die Landespartei war Anfang 2018 vom sogenannten Liederbuch-Skandal getroffen worden: Kurz vor der niederösterreichischen Landtagswahl war durch Recherchen des "Falter" bekannt geworden, dass in Liederbüchern der Burschenschaft von Spitzenkandidat Udo Landbauer antisemitische Passagen vorhanden waren.

Die Liederbuch-Affäre

Innerhalb der FPÖ vermuteten einige, dass die Liederbücher aus dem Verfassungsschutz nach außen gespielt wurden, etwa vom damaligen Ministerkabinettschef Michael Kloibmüller. Das zeigen etwa Chats zwischen dem damaligen FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus und Florian Stermann, zu diesem Zeitpunkt Chef der Österreichisch-Russischen Freundschaftgesellschaft (ORFG).

Stermann gab an, diese Informationen von Wirecard-Manager Jan Marsalek an Gudenus weitergeleitet zu haben. Marsalek lebt mittlerweile in Russland, wo er russischen Geheimdiensten zuarbeitet. Die Liederbücher sollen sich damals allerdings gar nicht im Verfassungsschutz befunden haben.

Gudenus hatte laut Chats in den Tagen vor der Razzia auch Kontakt zu Preiszler selbst – dessen Visitenkarte er an Kickls Bürochef weitergeleitet hat.

Die Causa Liederbücher war auch vom langjährigen BVT-Abteilungsleiter und späteren Marsalek-Mitarbeiter Martin Weiss thematisiert worden. In seiner Einvernahme vor der WKStA vermutete er, dass ohne sein Wissen Ermittlungen zu Burschenschaften durchgeführt worden seien und "dass Material, das aufgrund dieser Ermittlungen zu Tage gefördert worden wäre, bei den koalitionären Verhandlungen hätte verwendet werden können". Mittlerweile wird Weiss ebenfalls der Spionage für Russland beschuldigt, es gilt die Unschuldsvermutung.

"Zelle im BVT austrocknen"

Metadaten aus dem Ermittlungsakt zeigen, dass Weiss schon 2016 Kontakt zu einem damaligen Funktionär der FPÖ Niederösterreich gehabt hat. Genau wie Landbauer und der heutige blaue Generalsekretär Michael Schnedlitz stammt Weiss aus Wiener Neustadt, seine damalige Frau war dort Richterin. Auch die fallführende Staatsanwältin bei der WKStA, die wegen der Ermittlungen scharf kritisiert worden war, hatte einst in Wiener Neustadt gearbeitet. Ein Teil des BVT-Konvoluts, das laut einem Gutachten von Egisto Ott verfasst worden war, ging auch an den Bürgermeister Wiener Neustadts, Klaus Schneeberger (ÖVP).

Rund um den Ursprung des sogenannten BVT-Konvoluts wird bei der Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren geführt, dessen Ergebnisse allerdings noch nicht nach außen gedrungen sind. Ott bestreitet, der Verfasser des Dossiers zu sein, und es gilt die Unschuldsvermutung. Alle Ermittlungen, die aufgrund des Konvoluts eingeleitet worden waren, endeten mittlerweile mit Einstellung oder Freispruch.

Die FPÖ bestritt stets, dass mit der Hausdurchsuchung das Extremismusreferat ins Visier genommen werden sollte. Der damalige oberösterreichische Landesrat Elmar Podgorschek sprach wenige Wochen nach der Razzia allerdings von einer "Zelle im Verfassungsschutz", die "ausgetrocknet" werden müsse. Auch er hat eine Verbindung zu Küssel: Ein Foto aus dem Jahr 2006 zeigt die beiden gemeinsam bei einem Aufmarsch. Er habe Küssel nicht gekannt, behauptete Podgorschek später vor dem U-Ausschuss. (Michael Nikbakhsh, Fabian Schmid, 19.4.2024)