Japan, Nachnamen, Geschlechter
In Japan nehmen in Ehen meist Frauen den Nachnamen der Männer an. Einige Kampagnen wollen es ermöglichen, dass Ehepartner künftig unterschiedliche Nachnamen haben dürfen.
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Als Hiroshi Yoshida vor kurzem die Ergebnisse seiner Studie veröffentlichte, dachten einige, sie sei ein Aprilscherz. Denn der Wissenschafter an der japanischen Tohoku-Universität stellte darin eine weitreichende Prognose auf. In 500 Jahren – oder genauer: im Jahr 2531 – könnten in Japan alle denselben Nachnamen haben: Sato. Der Grund laut Yoshida: In Japan sind verheiratete Paare gesetzlich verpflichtet, einen gemeinsamen Nachnamen zu wählen. In 95 Prozent der Fälle ist es die Frau, die ihren Geburtsnamen aufgibt und einen neuen Nachnamen annimmt – und in immer mehr Fällen lautet dieser neue Nachname Sato.

Laut Yoshidas Berechnungen habe sich die Anzahl der Menschen, die Sato heißen, in den vergangenen zehn Jahren von 1,48 auf 1,53 Prozent der Bevölkerung erhöht. Sato ist aktuell der am weitesten verbreitete Nachname Japans, rund 1,9 von 125 Millionen Menschen im Land heißen so. Gehe die Entwicklung so weiter wie bisher, heiße im Jahr 2446 die Hälfte der Bevölkerung Sato, 2531 seien es dann hundert Prozent, so Yoshida.

Nation der "Satos"

Für Yoshida ist diese Entwicklung besorgniserregend. Eine Nation der "Satos" erschwere nicht nur die Kommunikation, sondern untergrabe auch die Würde jedes Einzelnen. "Wenn jeder zu einem Sato wird, müssen wir uns entweder nur mit Vornamen oder mit Nummern ansprechen", sagt Yoshida im Gespräch mit der japanischen Tageszeitung "Mainichi". Dieser Trend führe zudem zu einem Verlust an familiären und regionalen Traditionen.

Tatsächlich gibt es in Japan mittlerweile eigene Unternehmen, die die Entwicklung von Japans rund 300.000 Nachnamen verfolgen. Eines davon, Myoji Yurai, veröffentlicht regelmäßig Namensstatistiken mit den meistverbreiteten Nachnamen des Landes: Sato führt die Liste an, gefolgt von Suzuki, Takahashi, Tanaka und Ito.

"Untergräbt Familieneinheit"

Viele Frauenbewegungen in Japan fordern die Regierung seit Jahren auf, die Gesetze dahingehend zu verändern, dass ein verheiratetes Paar auch zwei unterschiedliche Nachnamen annehmen darf. Das soll unter anderem viele weniger verbreitete Namen vor dem Aussterben bewahren. Zwar erlaubt die japanische Regierung seit einiger Zeit, auch den Geburtsnamen neben dem Ehenamen in Reisepässen oder in Führerscheinen anzugeben. Laut der derzeit regierenden Partei würde eine solche Gesetzesänderung aber die Familieneinheit untergraben und Verwirrung unter den Kindern stiften.

"In Japan herrscht immer noch eine konservative Familienpolitik, bei der das traditionelle Familienmodell mit dem Mann als Haushaltsvorstand idealisiert wird", sagt Wolfram Manzenreiter, Professor für sozialwissenschaftliche Japanforschung an der Universität Wien, zum STANDARD. Diese Vorstellung sei auch mit der Praxis der Familienregister verbunden, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreiche. Diese Form der Einwohnerverwaltung erfasste nicht Einzelpersonen, sondern Haushalte im Land, die Zahl ihrer Mitglieder und ihrer gemeinsamen Familiennamen, und existiere bis heute.

Unterordnung in Familienlinie des Mannes

Gleichzeitig sei die Familie stark mit der Ehe verbunden. "Kinder werden in Japan immer noch standardmäßig in eine Ehe geboren. Uneheliche Geburten kommen so gut wie nie vor", sagt Manzenreiter. Innerhalb der Ehe sei Haushaltsarbeit immer noch häufig die Aufgabe von Frauen. "Es gibt kaum ein Land, in dem die Mitarbeit von Männern im Haushalt in der Ehe so gering ausfällt wie in Japan."

Diese Vorstellungen beginnen sich jedoch langsam zu verändern. Den Nachnamen des Mannes zu übernehmen empfinden heute viele Frauen in Japan als Unterordnung gegenüber der Familienlinie des Mannes, sagt Manzenreiter. Nicht wenige kritisieren zudem, dass ein anderer Nachname nachteilig für die eigene Karriere sei. Wissenschafterinnen beispielsweise, die sich ebenfalls einer Kampagne zur Gesetzesänderung in Japan angeschlossen haben, geben an, dass Studien, die sie unter ihrem Geburtsnamen publiziert haben, nach der Namensänderung nicht mehr anerkannt würden. Andere berichten von bürokratischen Hürden im Ausland.

Weniger Ehen, weniger Kinder

Viele Frauen wollen sich zudem nicht mehr der Doppelbelastung von Haushaltsarbeit und Erwerbsarbeit in einer Ehe aussetzen, sagt Manzenreiter. Die Konsequenz laut dem Wissenschafter: weniger Ehen und weniger Kinder.

Laut offiziellen Zahlen ist die Zahl der Eheschließungen in Japan 2023 im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent zurückgegangen, während sich die Zahl der Scheidungen um 2,6 Prozent erhöhte. Seit mehr als einem Jahrzehnt geht die Bevölkerungsanzahl des Landes kontinuierlich zurück, die Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau ist so niedrig wie in kaum einem anderen Land auf der Welt. Rund dreißig Prozent der Bevölkerung sind 65 Jahre oder älter.

"Bevölkerung stirbt aus"

Grund genug für Yoshida, neben der hypothetischen zukünftigen Entwicklung der Namen auch die Bevölkerungszahl Japans zu berechnen. Das Ergebnis: Im Jahr 3310 könnte die japanische Bevölkerung von derzeit 125 Millionen Menschen auf 22 Menschen geschrumpft sein. "Die Chance, dass die japanische Bevölkerung irgendwann ausstirbt, ist hoch", so Yoshida.

Der japanische Premierminister, Fumio Kishida, warnte bereits im vergangenen Jahr davor, dass Japan kurz davor sei, die soziale Versorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleisten zu können. "Es gibt eine Urangst in der Politik, dass eine Auflösung der gewohnten Familienstruktur zu einem weiteren Geburtenrückgang führen könnte", sagt Manzenreiter. Auch deshalb fehle ein politischer Wille, Gesetze wie jene zum Familiennamen zu verändern.

Neue Namen durch Zuwanderung

Schlussendlich könnte aber auch alles ganz anders kommen als in Yoshidas Berechnungen. Nicht nur, weil Frauen vielleicht künftig noch weniger heiraten oder unterschiedliche Ehenamen in Japan vielleicht doch noch erlaubt werden. Sondern auch, weil die Zuwanderung steigen könnte. "Die Politik versucht schon jetzt, mehr Einwanderer ins Land zu bekommen, um die sinkende Geburtenrate auszugleichen", sagt Manzenreiter. In Zukunft könnten dann mehr und mehr Personen im Land keine japanischen Eltern haben. "Das würde dann natürlich auch wieder ganz neue Namensquellen bieten."

Auch in China, aus dem aktuell die meisten Menschen nach Japan einwandern, dominieren einige wenige Nachnamen, darunter vor allem Wang, Li, Zhang, Liu oder Chen. Laut offiziellen Zahlen der Regierung aus dem Jahr 2020 teilt sich der Großteil der Bevölkerung – rund 86 Prozent – hundert Nachnamen. In Zukunft gibt es in Japan also vielleicht nicht nur mehr Satos, Suzukis und Takahashis, sondern vielleicht auch vermehrt Wangs, Chens, Lis oder Zhangs. (Jakob Pallinger, 6.4.2024)