Feministischer Protest in New York vor dem Trump Tower mit einem Schild, auf dem #MeToo steht. 
Die #MeToo-Bewegung: vom Netz aus auf die Straßen.
REUTERS

Als Sara Hassan sich 2008 auf Facebook anmeldet, tummeln sich dort noch wenige Österreicher:innen. Vier Jahre zuvor, im Februar 2004, startete das soziale Netzwerk und eroberte von US-amerikanischen Eliteunversitäten aus die ganze Welt. "Ich fand es aufregend zu sehen, dass auch andere Menschen ähnliche Meinungen vertreten, mit denen ich mich allein gefühlt hatte", erinnert sich die Autor:in und Trainer:in zurück. Das Facebook der Nullerjahre wurde anders genutzt als heute, Nutzer:innen suchten nach alten Schulfreund:innen, posteten Fotos von Omas Geburtstagsfeier.

Als 2009 zwei Studentinnen zu einer Lichterkette "Für respektvolles Miteinander und Freude an Vielfalt" vor dem Parlament in Wien aufriefen, kamen viele auch deshalb, da sich zum ersten Mal eine politische Kundgebung über Facebook formiert hatte. Aktivismus im "Web 2.0", das war neu und aufregend und schaffte trotz digitaler Distanz ein Gefühl der Verbundenheit. Der Arabische Frühling 2011 schließlich nährte die Hoffnung einer neuen Demokratisierung, die Social Media ermöglichen könnten.

Netzfeminismus und "goldene Jahre"

Sara Hassan wechselte schließlich auf Twitter, wo die damalige Student:in auf andere Aktivist:innen traf, sich vernetzte, politische Debatten führte. "Ich bin dort mit Menschen in Kontakt gekommen, die ich sonst nicht getroffen hätte, man konnte politisch durchaus respektvoll streiten", sagt Hassan. Rückblickend nennt Hassan diese Zeit die "goldenen Jahre" der Plattform. In den sozialen Netzwerken wurden Themen groß, die Hassan in den traditionellen Medien kaum besprochen sah: Rassismuserfahrungen in Österreich etwa oder sexuelle Übergriffe.

"Die Welt ist durch Social Media tatsächlich ein Stück zusammengerückt. Feministinnen konnten sich plötzlich viel leichter vernetzen", sagt die Digitalexpertin Ingrid Brodnig. Auf Twitter formierten sich zunehmend Hashtag-Kampagnen – so wie #MuteRKelly, eine einflussreiche Aktion schwarzer Feministinnen, erinnert sich Sara Hassan. Die Kampagne klärte eine breite Öffentlichkeit über die Vorwürfe gegen den Musiker R. Kelly auf – der inzwischen wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt ist.

2013 fegte #Aufschrei wie ein Sturm durch die deutsche Medienlandschaft und stellte sexistische Übergriffe an den Pranger, 2017 läutete #MeToo eine feministische Zäsur ein. "Mit #MeToo hat sich tatsächlich vieles verändert. Dort, wo vorher nur die Perspektive der Täter sichtbar war, gab es plötzlich viele Stimmen von Betroffenen", sagt Hassan, die selbst Organisationen zur Prävention von Machtmissbrauch schult.

Social-Media-Burnout

Auf X erreicht Hassan fast 20.000 Menschen, dennoch meldet sie sich inzwischen auf der Plattform kaum noch zu Wort. "Twitter-Burnout" nennt sie es. "Ich beziehe auf Social Media kaum noch Stellung. Ich habe keinen Bock darauf, dass eine Plattform Geld mit meinen Emotionen und meiner Lebensrealität macht", sagt Hassan. Statt mit politischer Vernetzung verbinden viele Aktivist:innen mit Social Media längst ein aggressives Gesprächsklima, Belehrungen, Angriffe und den ständigen Druck, sich selbst in Szene zu setzen.

"Es gibt inzwischen eine große Ernüchterung, was die Versprechungen der Plattformen angeht", sagt Chris Köver, Redakteurin bei Netzpolitik.org. Wer auf Instagram oder X aktiv ist, verspüre häufig einen Druck, Dinge aus dem Privatleben preiszugeben und sich zu allem politisch verhalten zu müssen. "Und der Backlash, der dann folgt, betrifft eben Frauen, Frauen of Color oder queere Menschen mit einer anderen Wucht", sagt Köver.

Ein Befund, den nicht nur Feministinnen teilen. Meta, Dachkonzern unter anderem für Facebook und Instagram, und andere Tech-Riesen haben ihren Glanz längst verloren. Zur "Kritik auf Facebook" findet sich auf Wikipedia ein eigener Beitrag: Fake News, mangelnder Datenschutz, Steuerflucht, extremistische Inhalte – die Liste ist lang.

Die Krux dabei: Jene Plattformen, die heute für viele zur wichtigsten Informationsquelle geworden sind, sind mächtige, gewinnorientierte Unternehmen – und keinem demokratiepolitischen Auftrag verpflichtet. Mit dem Digital Services Act hat die Europäische Union nun erstmals einheitliche Regeln für digitale Dienste eingezogen. Im Vorfeld sei eine regelrechte "Lobbyschlacht" abgelaufen, sagt Chris Köver. Meta, das im vierten Quartal 2023 einen Gewinn von 14 Milliarden Dollar verzeichnete, investiere enorme Summen, um Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. "Natürlich hat Meta in erster Linie seine eigenen finanziellen Interessen im Blick", sagt Köver.

Hassmaschine

Um Gewinne zu optimieren, haben die Plattformen auch ihre Architektur angepasst. Die sogenannte "Stickyness" sorgt dafür, dass User:innen möglichst viel Zeit auf Instagram oder Tiktok verbringen und so auch mehr Werbung angezeigt bekommen. Algorithmen entscheiden darüber, was in unserem Feed auftaucht. "Man muss davon ausgehen, dass sie ihre Algorithmen nach Unternehmenszielen ausrichten", sagt Ingrid Brodnig und verweist auf einen Bericht der "New York Times". So testete Facebook einen neuen Algorithmus, der gesellschaftlich negative Beiträge hätte stark eindämmen können. Die Zahl der Sessions, also wie oft Nutzer:innen die App öffnen, ging dabei aber zurück – Facebook nutzte diesen Algorithmus daraufhin nicht. "Unternehmen profitieren wohl eher von einem effekthaschenden, emotionsgetriebenen Algorithmus – was im Fall von Falschmeldungen oder Hassbotschaften massive gesellschaftliche Konsequenzen hat", sagt Brodnig.

Von all dem Hass, der ihnen auf X oder Instagram entgegenschwappt, berichten Frauen – insbesondere Feministinnen – seit vielen Jahren. Ein Bericht der EU-Agentur für Grundrechte im vergangenen Jahr zeigte, dass der meiste Onlinehass sich gegen Frauen richtet. In einer deutschen Studie, initiiert vom Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz, berichteten 49 Prozent der Befragten ab 16 Jahren, schon einmal persönlich Hass im Netz erfahren zu haben, besonders betroffen davon sind junge Frauen. Die Folge: Viele verstummen im Netz zusehends, deaktivieren ihre Profile.

Gegen prominente Feministinnen wie Jasmina Kuhnke werden im Netz oft regelrechte Hetzkampagnen initiiert. Dass Beleidigungen und Drohungen häufig nicht öffentlich, sondern etwa via Facebook-Messenger ausgesprochen werden, sieht Ingrid Brodnig als besondere Herausforderung. Eine Beleidigung muss vor Publikum passieren – das Strafrecht greift hier also nicht. Ekelhafte Beschreibungen von Gewalttaten wiederum erfüllen oft den Strafbestand einer gefährlichen Drohung nicht. "Gerade aus der Sicht von Frauen ist das eine große Lücke", sagt Brodnig.

Schönheitsdruck

Dass Frauen und Mädchen soziale Netzwerke auch in anderer Hinsicht auf die Gesundheit schlagen können, enthüllte die frühere Facebook-Mitarbeiterin und Whistleblowerin Frances Haugen 2021. Bei Teenagern, insbesondere Mädchen, verstärke Instagram die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper – Essstörungen und Depressionen können die Folge sein. Wie Haugen berichtete, wusste das der Konzern aus eigenen Erhebungen. Obwohl Body-Positivity-Aktivistinnen sich auf Social Media mit aller Kraft gegen Schönheitsnormen und gefilterte Bilder einer scheinbar perfekten Realität stemmen, liefern erfolgreiche Influencerinnen oft gerade solche Bilder. Wie eine 2019 veröffentlichte Studie der Medienforscherin Maya Götz zeigt, üben Influencerinnen einen großen Einfluss auf Mädchen aus, die sich auf Instagram selbst in Szene setzen. Userinnen würden "die immer wieder gleichen Posen maskeradenhaft" wiederholen und häufig mit Filtern und Bildbearbeitung nachhelfen.

"Wäre ich noch einmal 20, ich wüsste nicht, wie ich mich heute auf diesen Plattformen bewegen sollte. Instagram zum Beispiel zeigt dir Unzulänglichkeiten auf, an die du noch nicht einmal gedacht hast", sagt Sara Hassan. Und dennoch: Über Social Media hat die Feministin Kontakte geknüpft, die sie bis heute begleiten. Auch wenn Hassan nur noch wenig Zeit auf den Plattformen verbringt, stößt sie dort nach wie vor auf Perspektiven, die sonst kaum sichtbar sind. "Ich würde immer noch sagen, dass Social Media Menschen die Möglichkeit geben, sich ausdrücken, die in Massenmedien keinen Platz finden."

Unter welchen Bedingungen das passiert, das könnte auch eine zentrale feministische Zukunftsfrage sein. Mit der fortschreitenden Digitalisierung rückt Netzpolitik immer mehr ins Zentrum. "Und gerade feministische Stimmen fehlen in dieser Debatte oft. Die braucht es aber dringend", sagt Chris Köver. (Brigitte Theißl, 28.3.2024)