Für die ÖVP war eines lange klar: Dass KTM-Chef Stefan Pierer ab 2017 wiederholt wegen seiner Steuerkonstruktionen in der Kritik stand, war lediglich auf dessen Großspende an die damals türkise Volkspartei zurückzuführen. "Ich finde es schade, dass die SPÖ einen derart erfolgreichen Unternehmer so ungerechtfertigt in die Öffentlichkeit zerrt. Wir halten da auch massiv dagegen", sagte die damalige Generalsekretärin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Pierer habe "unzählige Arbeitsplätze geschaffen" und "zahlt hier seine Steuern", meinte auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). "Und jetzt schaut es so aus, als hätte er etwas Verbotenes gemacht. Ich halte das für bedenklich." Der ÖVP-Abgeordnete Klaus Fürlinger sprach sogar von seiner "tiefen inneren Überzeugung", dass Pierer keine steuerrechtlichen Vergehen zu verantworten habe. Er äußerte sich auf Anfrage nicht.

Pierer
KTM-Chef Stefan Pierer
Alexander Schwarzl

"Halte mich an alle Gesetze und Regeln"

Recherchen von STANDARD und ORF haben jetzt enthüllt, dass Pierer jahrelang Abgaben verkürzt hat. Das geht unter anderem aus einer Selbstanzeige hervor, die in Pierers Namen im Dezember 2017 eingebracht worden war. Darin ist zu lesen, dass es etwa im Fall von Pierers Privatstiftung in Liechtenstein "seit den 1990er-Jahren bis einschließlich 2010 bei Dr. Pierer zu einer Verkürzung an Einkommensteuer gekommen" ist. Rund um Erträge aus einem Versicherungskonstrukt seien ebenfalls Abgaben verkürzt worden. Für 2007 bis 2013, als die Versicherung aufgelöst wurde, fiel eine Nachzahlung von mindestens rund sechs Millionen Euro an; etwaige Abgaben vor 2007 seien verjährt.

"Sich an das Gesetz zu halten ist keine Frage von oben und unten. Und ich halte mich an alle Gesetze und Regeln", sagte Pierer noch im Oktober 2017, zwei Monate vor seiner Selbstanzeige. Damals waren Details aus Pierers Steuerakt von der SPÖ thematisiert worden. Man befand sich mitten im Wahlkampf, und der Unternehmer hatte der ÖVP gerade 530.000 Euro überwiesen. Der rote Finanzsprecher Jan Krainer enthüllte, dass Pierer auf einer sogenannten Abschleicherliste stand und 2013, kurz vor dem Inkrafttreten eines Steuerabkommens mit Liechtenstein, mehr als zwanzig Millionen Euro aus dem Fürstentum nach Österreich transferiert hatte.

Abschleicherliste

Das Abkommen ermögliche "Personen, die in der Vergangenheit Abgaben hinterzogen hatten, gegen Nachzahlung der Steuern in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren", hieß es damals von Experten. Pierer entschied sich jedoch, kurz vor dem Abkommen Geld zurückzuholen – genau wie rund 14.000 andere Österreicherinnen und Österreicher. Erst 2015 entschied das Finanzministerium dann, diese Überweisungen zu prüfen – so entstand die sogenannte Abschleicherliste, und der Fall Pierer kam ins Rollen.

Der Unternehmer, der den Motorradhersteller KTM saniert und zu einem Konzern mit Milliardenumsatz gemacht hat, äußerte sich trotz mehrfacher Anfragen nicht zu seiner Steuersache. Auch vonseiten der ÖVP gab es kein Statement.

Umso deutlicher reagierte hingegen deren politische Konkurrenz. "Es ist offensichtlich, dass das kein gutes Licht auf die von Pierer mit Spendengeldern bedachte ÖVP wirft", sagt Krainer, der sich jahrelang mit dem Fall Pierer beschäftigt hat. Die Steuernachzahlung Pierers zeige, wie wichtig es ist, das System der Zwei-Klassen-Verwaltung parlamentarisch zu untersuchen.

"Gut, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt"

"Interessant ist, dass uns seit dem Ibiza-Ausschuss wie in einer Serie die immergleichen Protagonisten begegnen: Da gibt es beispielsweise die Superreichen wie Pierer und Benko, die eine Sonderbehandlung begehren. Eine Hauptrolle spielt das ÖVP-geführte Finanzministerium als Zentrum für Wohlfühlbehandlungen für Wohlhabende", sagt die grüne Fraktionsführerin Nina Tomaselli. Diese Serie müsse "ein Ende finden", denn "die Österreicher:innen müssen sich darauf verlassen können, dass alle vor dem Steuergesetz gleich sind".

Neos-Fraktionsführer Yannick Shetty findet es "gut, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt". Der U-Ausschuss "darf sich jedoch nicht darauf beschränken, sich an einzelnen Personen abzuarbeiten, während das korruptionsanfällige System im Hintergrund weiterbesteht", sagt Shetty, der auch auf Vorwürfe gegen Finanzbeamte rund um Steuerangelegenheiten von Signa-Gründer René Benko verweist.

Die FPÖ verweist darauf, dass mehrere Steuerprüfer durch das Büro für Interne Angelegenheiten im Finanzministerium rechtswidrig verfolgt worden seien, nachdem die SPÖ die Abschleicherliste thematisiert hatte. "Es ist offensichtlich, dass die ÖVP das Finanzministerium dazu missbraucht, um ihre eigenen Freunde zu schützen – und zwar vor den eigenen Mitarbeitern, die sich den Gesetzen verpflichtet fühlen", sagt Fraktionsführer Christian Hafenecker. "Wir werden der Funktion und Legitimität dieses merkwürdigen Büros mit einer parlamentarischen Anfrage auf den Grund gehen", der "schwarze Sumpf aus Korruption, Postenschacher und Freunderlwirtschaft" müsse trockengelegt werden. Krainer: "Wer glaubt, dass die Geschichte hier endet, der irrt." (Fabian Schmid, 27.3.2024)