Ramones
The Ramones posieren fürs Foto einmal brav. Ihre Auftritte waren üblicherweise das Gegenteil dessen.
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Das Konzert war ein Debakel. Der Sänger konnte nicht singen, der Drummer keinen Rhythmus halten und der Bassist nicht gleichzeitig singen und spielen. Doch das Publikum musste nicht lange leiden, nach sieben Songs war die Show vorbei. Fünf Lieder begannen mit "I don't" – um dann anzuführen, was die Band alles nicht mag: Leute, Beziehungen, Verpflichtungen. Auf der Verlangenseite stand nur ein Song, der hieß Now I Wanna Sniff Some Glue.

Am 30. März 1974 gab im New Yorker Performance Space eine Band ihr Bühnendebüt, die eine neue Zeit einläutete: die Ramones. Vier Misfits aus dem Stadtteil Queens. 50 Jahre ist das her, der Auftritt markiert einen Geburtsmoment des Punk.

Nach dem desaströsen Einstand baute Tamás Erdélyi alias Tommy Ramone die Band um. Schlagzeuger Jeffrey Hyman alias Joey Ramone wurde Sänger, Erdélyi übernahm das Schlagzeug. Die Gitarre spielte John Cummings (Johnny Ramone), Douglas Colvin stand als Dee Dee Ramone am Bass. So passte es. In der Aufstellung war die Band für Großes bereit – und, beim Teufel, das sollte sie leisten.

Wiege des Punk

In der Besetzung tauchten sie im Sommer 1974 im Club CBGB auf. Der Club gehörte Hilly Kristal, und der ließ pro Woche zehn Bands bei sich auftreten, um Bier zu verkaufen. Sein Lokal wurde die Wiege des Punk, und keine andere Band verdeutlichte diese Zäsur wie die Ramones, die dort am 16. August erstmals auftraten.

Bevor sie die Ramones wurden, waren sie nur ein paar Typen, die Anfang der 1970er-Jahre nicht viel mit sich anzufangen wussten. Aber alle mochten Musik: Glamrock, die New York Dolls, Bands wie Iggy und seine Stooges oder MC5. Jeffrey Hyman stakste zu der Zeit in hautengen Overalls durch die Nachbarschaft: Mit seinen 1,98 Meter plus Plateauschuhen und rosa Brille verursachte seine Erscheinung Alien-Alarm.

Cummings war als Ungustl bekannt, der tagsüber als Schweißer am Bau arbeitete und abends mit einer Zuhälterkarre durch die Gegend fuhr – auf der Suche nach Konzerten, Girls oder Wickel. Er hasste Hippies, schnüffelte Klebstoff, nahm Heroin. War ihm langweilig, konnte schon einmal ein alter Fernseher vom Dach des Hochhauses fliegen, in dem er wohnte.

RHINO

Im Rückblick waren das die Zutaten, aus denen sich die Musik und die Haltung des Punk manifestierte. Vom anfänglichen musikalischen Unvermögen ließen sich die falschen Brüder nicht abhalten. Patti Smith oder Television mochten früher im CBGB aufgefallen sein, doch keine andere Band definierte Punk wie die Ramones. Nach einigen Auftritten betrachteten sie sich Videos ihrer Shows und beschlossen erneut, einiges zu ändern. Keinen Fummel mehr, keine peinlichen Kniefälle des Sängers, keine Lichtorgel. Stattdessen enge Jeans und Lederjacken, Sneakers, T-Shirts. Joey sollte sich fortan mit beiden Händen am Mikrofonständer festmachen, das sollte Entschlossenheit signalisieren. Dazu grelles Licht auf alle, keine Spots.

In den knappen Songs tauchten die Vorlieben der vier auf: B-Movie-Sujets, Serienmörder, Alltagstristesse und die gute alte schlechte Laune. Gewürzt wurde dieses Gemisch von einigen Germanismen, die der als Sohn eines Militärs unter anderem in Deutschland aufgewachsene Colvin einbrachte. Aus einem Song namens Animal Hop wurde Blitzkrieg Bop, auch der bald zum Markenzeichen gewachsene Schlachtruf der Band ging auf sein Konto: "Hey, ho, let's go!"

Keine Soli

Gespielt wurden zwei, drei Akkorde, keine Soli. Mit Vollgas in den Song, mit Vollgas wieder raus – alles in zwei Minuten. So klang die Revolution, so klang der Gegenentwurf zu Exegesen an der Doppelhalsgitarre im lähmend öden Stadionrock der 1970er. Statt Szenenapplaus für Virtuosität gab es bei den Ramones Streit und Schläge auf der Bühne innerhalb der Band.

Das waren Symptome einer Dysfunktionalität, die ihnen Zeit ihres Bestehens erhalten bleiben sollte. Der Schlagzeuger von den Talking Heads, Chris Frantz, schreibt in seiner Biografie von einer Europatour mit den Ramones, auf der sie ständig gestritten haben und Joey während langer Wochen nur ein einziges Mal erfreut gelacht habe: als er in Paris eines McDonald's ansichtig wurde.

Als die Ramones 1976 ihr erstes Album veröffentlichten, bestand es im Wesentlichen aus ihrem Liveset. 14 Songs, keine halbe Stunde lang. Darunter war der Titel Judy Is a Punk, der den Terminus Punk etablieren sollte und die Ramones zu dessen Inbegriff werden ließ.

Wichtig in der Nachbetrachtung

Großes Geld machten die Ramones nie, ihre Bedeutung wuchs erst in der Nachbetrachtung so richtig an. Nach 2.263 Konzerten und einigen Umbesetzungen gaben sie 1996 ihr Abschiedskonzert. Joey Ramone starb 2001 mit 49 Jahren, Johnny 2004 mit 55, Dee Dee ging 2002 mit 50, Tommy machte es bis 2014, bevor er mit 65 Jahren starb. Dreimal Krebs, eine Überdosis.

Punk war da längst stadiontauglich geworden, heute tragen Schulkinder Ramones-T-Shirts vom Textildiscounter. Was die Band davon halten würden? Viel nicht, wenn man sich den Song Beat on the Brat anhört. Darin fantasiert Joey darüber, was bei einem Treffen zwischen verzogenen Kindern und seinem Baseballschläger passieren würde. Nichts Gutes, aber es klingt immer noch verdammt geil. (Karl Fluch, 29.3.2024)