Hin und wieder arbeitet der Künstler Gernot Passath auch in seiner Wohnung in Graz und nicht in seinem Atelier. Zum Abziehen der hellblauen Schutzfolie vom Kastl konnte er sich bis heute nicht überwinden.

"Meine Eltern wohnen in der Nähe von Gleisdorf und betreiben einen Bauernhof, auf dem ich selbst aufgewachsen bin. Einen Teil des alten Bauernhauses hab ich mir zum Atelier ausgebaut, in dem ich nun meiner künstlerischen Arbeit nachgehe. Gerade für Siebdruck und großformatige Arbeiten eignet sich der Ort einfach perfekt. Doch manchmal passiert es, dass es mich auch hier zu Hause in Graz überkommt, so einfach von null auf 100, von jetzt auf gleich, und für genau diese spontanen, unkalkulierbaren Momente hab ich dieses Eck hier im Wohnzimmer.

Gernot Passath Wohnung
Gernot Passath in seiner Grazer Wohnung. Das Haus stammt aus dem 18. Jahrhundert.
J. J. Kucek

Ansonsten aber ist das vor allem eine Wohnwohnung. Ich hab’s gern gemütlich, wobei ich weder das Geld noch die Nerven hab, nach Möbeln zu suchen. Die meisten Möbel passieren einfach. Oder aber ich lasse sie passieren. Ich hab einen Bekannten, der im Abfallzentrum arbeitet, im Bereich Sperrmüll, und der Deal war, sobald mal ein schönes Sofa abgeliefert wird, meldet er sich bei mir. Eines Tages hat er angerufen – ein Siebzigerjahre-Sofa aus braunem Samt, und das noch dazu unbeschädigt und in einem einwandfreien Zustand!

Gernot Passath Wohnung
"Die meisten Möbel passieren einfach", sagt Gernot Passath.
J. J. Kucek

Sonst hab ich noch einen Holzofen, mit dem ich manchmal einheize, um Heizkosten zu sparen, allerhand alte Tische, Stühle, Kommoden und Schränke, die mir auch irgendwie zugeflogen sind, ein selbstgebautes Bücherregal aus Holz und Stahl, Arbeiten von befreundeten Künstlerinnen, ein bissl Krimskrams und eine Gitarre, die ich mir in der Jugend zugelegt hab, weil ich damals – wie so viele – eines Tages in einer Band spielen wollte. Für die Bühne hat’s nicht gereicht, aber manchmal greife ich zur Gitarre, um mich zu entspannen und ein bissl vor mich hin zu spielen, ohne Ziel, einfach so, zum Beispiel Dry the Rain von The Beta Band.

Gernot Passath Wohnung
Er habe "weder das Geld noch die Nerven, nach Möbeln zu suchen", sagt der Künstler.
J. J. Kucek

Das Haus, in dem ich wohne, befindet sich im Bezirk Gries, nicht weit von der Mur entfernt, und stammt aus dem 18. Jahrhundert. Es gibt ein hölzernes Stiegenhaus, einen Laubengang und viele tolle barocke Details, die dem Haus sein unverwechselbares Flair verleihen. Auf den Treppen gibt’s ein paar Bereiche mit Ästen, die natürlich viel härter sind als die umliegenden Jahresringe, da kriegt man eine Ahnung davon, wie stark das Holz schon abgetreten wurde. Die Patina, finde ich, erdet einen irgendwie. Ganz im Gegenteil zu heutigen Neubauten, die nach fünf Jahren Benützung einfach nur grauslich ausschauen.

Gernot Passath Wohnung
Neben manchem "zugeflogenen" Möbelstück finden sich bei ihm auch Arbeiten von befreundeten Künstlerinnen.
J. J. Kucek

Als ich die Wohnung übernommen hab, musste ich sie ausweißen. Beim Abscheren, Spachteln und Übermalen ist mir in der Küche auf der Stuckdecke ein ordentliches Stück Farbe entgegengekommen – und hat den Blick auf die erste, grünliche Kalkfarbschicht freigegeben. Also hab ich mit der Hilfe meiner Freundin und ein paar Kumpels nachgeholfen und einen Teil der Decke freigelegt. Abgesehen davon ist die Wohnung recht weiß. Wenn man den ganzen Tag mit Farbe arbeitet, dann will man dem Auge am Abend auch wieder etwas Entspannung gönnen.

Bloß das eine Kastl vom Ikea ist immer noch hellblau, weil ich mich bis heute nicht überwinden konnte, die Schutzfolie runterzuziehen. Außerdem ist es in Blau viel schöner. Genau darum geht’s: In der Kunst will ich meine Arbeit abschließen und perfektionieren, ganz egal, ob das auf der Leinwand oder auf einer Feuermauer irgendwo in der Stadt ist. Im Wohnen hingegen dürfen die Dinge ruhig ewig dauern – und können von mir aus auch niemals zu einem Ende kommen.

Gernot Passath Wohnung
In der Stadt braucht es auch unperfekte Wohnungen, findet Passath.
J. J. Kucek

Ich hab keine großen Wünsche für die Zukunft, ich lass mich treiben. Wenn man zu konkrete Ziele hat, übersieht man oft Türen, die sich für einen öffnen. Eigentlich wünsche ich mir nur, die Wohnung noch lange behalten zu können – quasi symbolisch dafür, dass es in der Stadt so schöne, atmosphärische, aber auch etwas unperfekte Wohnungen braucht, die man sich in der Miete leisten kann, die einen finanziell nicht überfordern, die genug Geld und Energie für die schönen Dinge im Leben lassen." (Wojciech Czaja, 27.11.2023)