Kommunikationswissenschafter Josef Seethaler

Zugegeben: Die Lektüre von Dokumenten der Europäischen Union und des Europarats, in wenig PR-tauglicher Amtssprache verfasst, ist sperrig. Dennoch lohnt ein Blick in diese Texte. Denn überraschenderweise liest man ganz konkrete politische Vorstellungen, die, entgegen ihrem Ruf, so gar nicht realitätsfern klingen – zumindest wenn man Politik als reflektierte Gestaltung von Realität versteht, die das Ziel verfolgt, Entwicklungschancen zu eröffnen.

Seit zwei Jahrzehnten nötige Reform

Und plötzlich fängt man an nachzudenken. Dies gilt auch, wenn es um Medienförderung geht. Immerhin steht in Österreich aktuell eine Entscheidung an – die Digitalförderung –, und eine zweite steht seit rund zwei Jahrzehnten an: die notwendige Reform der Medienförderung(en). Bei beiden Entscheidungen geht es um nichts weniger als unsere demokratische Gesellschaftsordnung.

Conrad Seidl hat am 3. Dezember in einem STANDARD-Essay darauf hingewiesen, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass bis zu ein Viertel der österreichischen Wahlberechtigten mit dem politischen System unzufrieden sind und/oder sich ungerecht behandelt fühlen. Das ist eine dramatisch hohe Zahl, die, so Seidl, durchaus etwas mit der ebenso dramatisch wachsenden Medienkonkurrenz zu tun haben könnte, die angesichts des damit verbundenen ökonomischen Drucks zu aggressiveren Formen der Aufmerksamkeitsgenerierung und einer vielfachen Verschärfung der Arbeitsbedingungen in den Redaktionen beiträgt.

Wie groß der ökonomische Druck bereits ist, hat Harald Fidler vorgerechnet: In den ersten acht Monaten 2020 haben Google, Facebook & Co rund 40 (!) Prozent der klassischen (Netto-)Werbeeinnahmen in Österreich lukriert – Tendenz stark steigend.

Staatliche Förderung für demokratische Qualität

Es erfordert aber Zeit, Stabilität und Ressourcen, damit Nachrichtenmedien in einer freien und pluralen Umwelt unabhängige und vertrauenswürdige Inhalte produzieren können, unterstreicht die Europäische Kommission in ihrem ebenfalls am 3. Dezember veröffentlichten Aktionsplan "Europe's Media in the Digital Decade".

Es ist hier nicht der Platz, die zehn dort vorgelegten, auf einen Realisierungszeitraum von zwei Jahren anberaumten Aktionen zu reflektieren. Es sollen nur einige Vorschläge aus europäischen Dokumenten der letzten Zeit herausgegriffen und festgehalten werden. Natürlich kann und soll man sie diskutieren und hinterfragen, aber einen Beitrag leisten sie ganz bestimmt: Medienförderung als Demokratieförderung zu begreifen.

Denn: So vielfältig Medienqualität sein mag, so ist sie doch – und zum Glück – etwas sehr Individuelles. Staatliche Förderung ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn es um eine Form von Qualität geht, die im kollektiven, gesellschaftlichen Interesse liegt: um demokratische Qualität.

Die Substanz von Demokratie

Doch demokratische Qualität ist nicht so einfach zu bestimmen. Auch da gibt es in einer diversen Gesellschaft unterschiedliche Verständnisse, nicht zuletzt abhängig von unterschiedlichen Werthaltungen und Lebensvorstellungen.

Dennoch unterscheiden sich diese Verständnisse nicht in ihrem Bekenntnis zur Demokratie, sondern in der Schwerpunktsetzung auf demokratische Prozesse einerseits und auf die Substanz von Demokratie andererseits – und auf diese unterschiedlichen Zugänge können und sollten Förderbestimmungen Bedacht nehmen, um möglichst viele Menschen in eine demokratische Öffentlichkeit zu inkludieren.

Das impliziert zugleich, dass die Anspruchsberechtigungen auf Förderungen breit gestreut sind und spezifische Organisations- oder Vermittlungsformen nicht gegenseitig ausgespielt werden: Der britische Kommunikationswissenschafter James Curran hat schon vor zwei Jahrzehnten festgestellt, dass unterschiedliche Medien unterschiedliche Funktionen für eine demokratische Gesellschaft erfüllen. Medienförderung sollte das Wahrnehmen demokratischer Funktionen unterstützen, weil das Marktmechanismen nicht vermögen.

Freiheit, Pluralismus, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit

Die Überlegungen zur Medienförderung, wie sie sich in europäischen Dokumenten finden lassen, kreisen um vier oben bereits genannte Begriffe: Freiheit und Pluralität können geradezu als die Strukturmerkmale einer liberal-rechtsstaatlichen Demokratie bezeichnet werden, die sie von allen Spielarten autoritärer und totalitärer Systeme unterscheiden. (Im Sinne eines pluralen Medienangebots ist daher, wie Christoph Buschow erst kürzlich – und einmal mehr – im STANDARD ausgeführt hat, eine Medienförderung, die zu einem beachtlichen Teil auf Auflagenhöhe oder Reichweite aufbaut, geradezu kontraproduktiv.) Unabhängigkeit ist, wenn sie – in Anlehnung an den großen deutschen Politikwissenschafter Ernst Fraenkel – an Fairplay gebunden ist, eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Medien einen pluralen Diskurs im Interesse einer diversen Gesellschaft (und nicht im Interesse politischer oder wirtschaftlicher Lobbys) herstellen können. Und Glaubwürdigkeit ist die Basis von Vertrauen, ohne das keine Institution in einer demokratischen Ordnung ihre Funktionen erfüllen kann.

Um diese vier Begriffe sollen stichwortartig einige – weitergedachte – Überlegungen aus den im Anschluss aufgelisteten Dokumenten europäischer Politik gruppiert werden, die zum Teil auch unter den medienpolitischen Positionen des Presseclubs Concordia zu finden sind.

Freiheit

  • Informationsfreiheitsgesetz (längst fällig; steht im Regierungsprogramm)

Pluralismus

Ausbau der bestehenden Ansätze zur Vielfaltsförderung (wie sie derzeit im Pressebereich bestehen) in Richtung

  • Konsolidierung von Redaktionen (Zahl der beschäftigten Journalistinnen und Journalisten mit arbeitsrechtlicher Verankerung durch Kollektivverträge, Korrespondentennetzwerke, internationale Kooperationen)
  • Auf- und Ausbau digitaler Medienprojekte (von digitalen Rechercheplattformen bis zu KI-unterstützter Produktion und nutzungsorientierter Aufbereitung von Inhalten einschließlich demokratietauglicher algorithmischer Vorschlagsysteme)
  • flächendeckender Versorgung mit lokalen Medienangeboten, insbesondere Ausbau der bestehenden Struktur nichtkommerzieller Anbieter

Unabhängigkeit – prozessual

  • Förderung von investigativem Journalismus im Sinne von Kritik und Kontrolle der politisch Mächtigen und der Aufrechterhaltung des Rechtsstaats
  • Verpflichtung zur Implementierung von Governance-Strukturen in Medienorganisationen (Redaktionsstatute, Mitbestimmungsmechanismen, Ombudspersonen, interne Qualitätssicherungssysteme)
  • Ausbau der Förderung journalistischer Aus- und Weiterbildung

Unabhängigkeit – substanziell

  • Förderung sozialer Vielfalt in Redaktionen und im Management von Medienunternehmen, das heißt zuerst, aber nicht nur adäquate Repräsentanz von Frauen
  • Unterstützung eines zivilgesellschaftlichen Journalismus unter besonderer Beachtung lokaler Communitys als wichtiger Keimzellen einer erlebbaren Demokratie
  • Ermöglichung der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Produktion von Medieninhalten und an Diskussionen über Fragen von öffentlichem Interesse

Glaubwürdigkeit

  • Verpflichtung zur Anerkennung der ethischen Grundsätze für die publizistische Arbeit ("Ehrenkodex") und zur Mitgliedschaft in einem zu erweiternden Medienrat
  • Förderung des Zugangs zu verlässlichen Informationen durch Unterstützung unabhängiger Faktenchecks und Recherchen zur Aufdeckung von und Immunisierung gegenüber Desinformation
  • Förderung von Medienkompetenz und digitalen Fähigkeiten im Sinne einer kritischen und verantwortungsbewussten Nutzung von Medienangeboten und der Sensibilisierung gegenüber demokratiegefährdenden Inhalten

Keiner dieser Punkte ist vollständig beschrieben, und alle Punkte zusammen sind nicht erschöpfend. Sie verstehen sich vielmehr als Anregungen zur Diskussion. Eine deutliche Erhöhung der Fördermittel (vielleicht bei gleichzeitiger Reduktion des Volumens staatlicher Werbeaufträge …) und eine transparente Vergabe durch unabhängige Gremien und anhand überprüfbarer Ziele und Kriterien verstehen sich von selbst.

Und ja: Förderungswürdig ist jede Art von Journalismus, der demokratischer Qualität entspricht, unabhängig vom Vermittlungsweg, ob off- oder online, vom Medientyp, von der Organisations- und Finanzierungsform (wenngleich die Anforderungen nach kommerziellen und gemeinnützig organisierten journalistischen Projekten zu differenzieren sind). (Josef Seethaler, 7.12.2020)