Screenshot: Ursula Endlicher

Es gibt mindestens so viele Internetseiten wie unterschiedliche Arten, seinen Körper zu bewegen: Mit der Netzkunst-Arbeit html_butoh spannt die in New York lebende Wienerin Ursula Endlicher einen Bogen zwischen zwei Konzepten, die auf den ersten Blick unvereinbar wirken: Internet und Körper. Seit dem Beginn des World Wide Webs vor mehr als zehn Jahren ist ihr größtes Anliegen, "die Wechselbeziehungen zwischen Online- und Offline-Welten zu erforschen", wie die Künstlerin im Gespräch mit derStandard.at über die Ausstellung UN_SPACE verriet.

In html_butoh zerlegt Endlicher Websites in ihre Einzelbestandteile und reduziert sie auf jene hinter den Browsern vesteckten Elemente der "Web-Beschreibungssprache" HTML. Die einzelnen HTML-Befehle werden mittels Kurzvideos je einer Körperbewegung zugewiesen und ergeben eine zuerst unvermittelt wirkende Anneinanderreihung kurzer Tanzperformances. Die umso schlüssigere Konsequenz daraus ist aber, dass sich die Bewegungsdatenbank aus dem Netz selbst choreographiert und von Surfern rund um dem Globus gespeist wird. Alle 3:28 Minuten springt das Web-Interface von einer zur nächsten der globalen Top-500-Internetadressen und durchtanzt damit im Laufe eines ganzen Tages alle HTML-Sprach-Architekturen einmal.

derStandard.at: Inwieweit spiegelt sich das Konzept der Ausstellung UN_SPACE, die Erkundung des Themas "Raum", in html_butoh wider? Welchen Raum-Konzepten gehst du nach?

Ursula Endlicher: html_butoh bespielt und bevölkert einen Performanceraum im Web. Die Mitwirkende des Stückes stammen aus den unterschiedlichsten Orten und haben ganz unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Wer Lust hat mitzumachen, kann das durch einfaches Uploaden von Videosequenzen tun.

Der Raum in html_butoh ist durch die dem Web zugrunde liegenden Parameter klar definiert. Erst durch die Mitwirkenden beginnt er eigentlich richtig zu existieren. Die HTML-Struktur, normalerweise versteckt hinter dem "Corporate Design" von Websites, wird zur Architektur dieses Theaterraumes und gleichzeitig auch zur Choreographie des Stückes.

html_butoh wird durch seine eigene Struktur - dem ständigen Zählen durch ein Bewertungssystem von Webseiten - zu einer Darstellungsform von Internet-Zeit: Unsere gewohnte Unterteilung der Kategorien "Raum" und "Zeit" in einen 24-Stunden-Zyklus wird durch kleinere Einheiten von globaler Popularität abgelöst.

derStandard.at: Warum beziehst du dich mit deiner Arbeit gerade auf Butoh, eine aus dem Japan der späten 1950er Jahre stammende Form des Tanztheaters?

Endlicher: Ich habe mich vor ein paar Jahren mit japanischem Tanz, speziell Butoh, intensiver beschäftigt und zum Teil auch selbst praktiziert. Dabei sind mir Parallelen aufgefallen, zwischen der Art und Weise wie ein Web Browser ein HTML-Dokument "scanned" und es in die Form bringt, in die wir es beim Surfen wahrnehmen, und wie ein Butohtänzer durch seine Bewegungen sozusagen "zum Bild" wird. Die technischen, metaphorischen wie verinnerlichten Vorgänge erscheinen mir bei beiden Praktiken sehr ähnlich.

derStandard.at: Siehst du historische Parallelen zwischen Butoh und den künstlerischen Entwicklungen im Internet?

Endlicher: Butoh ist eine Avantgarde Performance Kunst, die aus den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs in Japan entstanden ist. So gesehen gibt es eine zeitliche Parallele zur Entstehung des Internets, das ja in den 1950er Jahren - in seinen Vorstadien - für amerikanische Militärzwecke entwickelt wurde.

Außerdem würde ich sagen, daß sich Parallelen zwischen dem Theater der letzten fünfzig Jahre und diversen Anwendungen im Internet/Web wiederfinden lassen. So zum Beispiel die Idee der Publikumsbeteiligung: Die Idee, die Benutzer des Internets aktiv zur Beteilung und zur Mitgestaltung einzuladen - wie in YouTube oder Wikipedia - und das Brechen mit der Idee einer abgegrenzten Bühne im Theater, wo Schauspieler- und Zuschauerraum ineinander übergehen.

derStandard.at: In vielen deiner Arbeiten wird ein mediales System in ein anderes "übersetzt". In wieweit stehen die Themen Sprache und Kommunikation im Zentrum deiner Aktivitäten?

Endlicher: Ja, ich bin fasziniert davon, wie die Grammatik eines Systems in einem anderen Ausdruck findet: Es kann sich dabei um Computer Code handeln, der in Choreographie verwandelt wird, wie eben in html_butoh und in der Performance Serie Website Impersonations. Code kann aber auch in Musik interpretiert oder in Perückenhaar eingeflochten werden, wie in den Website Wigs (Anm.: Im Moment auf der 10. Instanbul Biennale zu sehen).

In diesen Arbeiten stellt sich die Frage, wie man Sprachen oder Architekturen, die das Web generell bilden, gemeinsam erfinden oder erweitern kann. Und dann läuft Kommunikation eben über geteiltes Wissen, durch nachvollziehbare, nachtanzbare, nachbewegbare, nachbaubare Sprachen ab. Genauso bringt html_butoh Mitwirkende unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft zusammen, die sonst weder gemeinsam in einem Stück "spielen" noch sich gegenseitig zu neuen Ausdrucksformen anregen würden.

Ich fordere darin das Publikum auf, aktiv mitzumachen. Jeder kann seine eigene Ausdrucksform und Interpretation von HTML finden. Indem ich dem Einzelnen diese "Macht" gebe, mache ich das Web auch persönlicher. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass - wenn viele Individuen sich am Web beteiligen - es auch in den Händen des Einzelnen bleibt, statt zur Gänze in große Konzerne überzugehen.

derStandard.at: Vor rund zwei Jahren warst du gemeinsam mit Theoretikern, Dramaturgen, Performern und Videokünstlern an einer Veranstaltung im TanzQuartier Wien beteiligt. Wie sieht dein Beitrag zu einem interdiszipilinär geführten kulturellen Diskurs aus?

Endlicher: In meiner Arbeit verbinde ich Internet, Performance, und Installation. Die Diskussionen und Restultate, die aus der Konfrontation dieser Medien entstehen, sind meinen Arbeiten inhärent. Ich finde die Überschneidung von Netz und Performance sowie die Manifestierungen von Netz-basierten Inhalten im Ausstellungs- oder Performanceraum sehr spannend. Ich untersuche diese Möglichkeiten nun seit vielen Jahren, und so gesehen befindet sich meine Arbeit an der Schnittstelle von realem, virtuellem, sozialem, haptischem und performativem Raum.

Die angesprochene Veranstaltung in TanzQuartier mit anderen interdisplinär arbeitenden Künstlern war auch früchtetragend für mich. Die ersten Beiträge zur html-movement-library stammen aus dieser Begegnung; sie sind die Grundlage für html_butoh.

Eines noch zum Thema Interdisziplinarität und Uneinordenbarkeit: Ich finde es interessant, wenn künstlerische Arbeiten nicht leicht in eine Kategorie fallen, und man sozusagen neue Begriffe für neue Kombinationen an Ideen und Medien finden muss. So werden Kategorisierungen immer wieder dekonsturiert und neue Bereiche gegründet. Interessanterweise untersuchen viele Neue-Medien-Festivals nun reale wie virtuelle Inhalte, öffnen sich also zu einem erweiterten Kunstbegriff, wobei die Biennalen, wie es scheint, Neue Medien und ihre Kulturen bislang immer noch fast zur Gänze auslassen.

Genauso ist es auch häufig bei Ausstellungen, die das Web als Medium einschließen: Anstatt das Netz mit experimentellen Darstellungsformen zu konfrontieren, um es in den "physischen Raum" zu übersetzen, wird es lediglich auf dem Bildschirm präsentiert. Da wünsche ich mir mehr Interdisziplinarität... (Franz Thalmair, derStandard.at/17.09.2007)