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Der beliebte Süßstoff Acesulfam fließt ebenso unbehelligt durch die Kläranlagen wie medikamentöse Wirkstoffe.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Thilo Hofmann erinnert der Umgang mit Wasser ans Mittelalter. Wien etwa hole sich sein Wasser vom Berg, das Abwassser münde in der Donau. Von den Kläranlagen gereinigt zwar, aber immer noch mit Substanzen versetzt, deren Langzeitfolgen für das Ökosystem weitgehend unerforscht sind.

Österreich versorgt sich nur geringfügig mit Flusswasser und sei damit in einer glücklichen Lage, sagt der Umweltgeowissenschafter der Uni Wien. Anders als etwa Berlin, das sich mehr als 70 Prozent des Trinkwassers aus oberirdischen Gewässern holt. International jedoch werde sich die bisherige Handhabung von Abwasser so nicht länger spielen. Auch Österreich trage hier Verantwortung, und es gelte, künftig die bestmöglichen Standards zu erreichen.

Krankenhäuser sammeln nur radioaktiven Urin

Starken Handlungsbedarf sieht Hofmann vor allem in österreichischen Krankenhäusern. Sie würden ihre Abwässer nach wie vor nur eingeschränkt gesondert behandeln. Wer dort radioaktive Medikamente erhält, wie etwa Kontrastmittel fürs Röntgen, muss spezielle Toiletten nutzen - der Urin gilt als Sondermüll und wird getrennt gesammelt. Doch alle anderen Ausscheidungen gelangten de facto unbehandelt ins Abwasser.

"Die hohe Konzentration in Spitälern ist das Problem. Bei tausenden Patienten würde es sich lohnen, darüber nachzudenken, wie man die Belastung senken kann." Doch das Ganze sei eine Kostenfrage, also setze man weiterhin lieber auf das Prinzip der Verdünnung.

Arzneimittel im Grundwasser

Arzneimittelwirkstoff sind vielfach schwer biologisch abbaubar, bestätigt Stefan Weiß, Chemiker des Umweltbundesamtes. Sie seien gut wasserlöslich und könnten bis ins Grundwasser gelangen. Paradebeispiel sei ein Antiepileptikum, das in der gleichen Konzentration in Kläranlagen reinkomme wie raus.

Auch andere Wirkstoffe ließen sich in der Donau nachweisen, wenngleich in äußerst niedriger Konzentration - "vergleichbar mit dem Würfelzucker im Bodensee". Welche ökotoxologische Folgen die geringe, dafür permanente Belastung auf Gewässer und Böden hat, ist laut Umweltbundesamt bisher zu wenig untersucht.

Tonnenweise Antibiotika

Im Vorjahr waren hierzulande 12.455 Medikamente für den Menschen zugelassen. Im Schnitt verbraucht ein Österreicher im Jahr 1010 Einzeldosen, eine entspricht einer Tablette oder zehn Tropfen, belegt das Institut für Pharmaökonomische Forschung. Nicht eingerechnet ist der Arzneimitteleinsatz in der Tierhaltung. Allein an Antibiotika verschrieben Tierärzte 2011 gut 60 Tonnen für Rinder, Schweine und Hendln. In Deutschland wiesen Wissenschafter mittlerweile 150 Medikamentenwirkstoffe in Wasser und Böden nach.

Das Problem sei seit 20 Jahren bekannt, reagiert werde erst jetzt, sagt Hofmann. Behoben gehöre es aber nicht am Abflussrohr oder in der Kläranlage. Vielmehr brauche es Regeln, wie sich Ausscheidungen besser sammeln und entsorgen ließen - etwa in den Spitälern.

Spitäler versus Privathaushalte

Der Wiener Krankenanstaltenverbund spielt diesen Ball aber zurück. Der Anteil der Spitäler mache verglichen mit dem Medikamentenverbrauch der Privathaushalte einen kleinen Tropfen aus, sagt Günter Poyer von der Stabstelle Umweltschutz. Es sei kein Unterschied, ob Arzneimittel via Privattoiletten in Kanäle flossen oder über Spitäler bzw. Pflegeheime.

In der Praxis sei eine gesonderte Behandlung jedenfalls technisch kaum umsetzbar. Verbesserungen seien nur durch geringeren Arzneimittelverbrauch oder gut funktionierende Kläranlagen erreichbar, ist Poyer überzeugt,

Süßstoff Acesulfam wird nicht abgebaut

Die Konzentration des Abwassers im Grund- oder Flusswasser lässt sich mittlerweile durch den Boom der kalorienreduzierten Lebensmittel ermitteln. Statt Aspartam und Saccharin setzt die Industrie für Light-Getränke wie Coke vermehrt den Süßstoff Acesulfam ein. Der Körper baut ihn nicht ab - ebenso unbehelligt fließt er durch Klo, Kanal und Klärbecken in den Wasserkreislauf, sagt Hofmann. In Summe sind es Tonnen.

Ein gesundheitliches Risiko soll er aus Expertensicht nicht darstellen. Im Trinkwasser habe er aber ebenso wenig verloren wie Medikamentenreste. Chemikern dient der synthetisch hergestellte Süßstoff als Markierungsstoff: Er zeigt an, wie viel Abwasser im Trinkwasser landet - etwa durch Lecks im Kanalnetz. Je nach Stadt und Kanalystem, sagt Hofmann, versickerten zwischen zehn und 40 Prozent des Abwassers. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 20.9.2012)