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Der Amoklauf zweier Schüler an der Columbine High School, in Littleton, Colorado im Jahr 1999 hat einen politischen Feldzug gegen Videospiele mit gewalttätigen Inhalten losgetreten. Wissenschaftler widersprechen allerdings der These, dass so genannte "Killerspiele" die Ursache für derart komplexe Phänomene sein können. 

Foto: AP Photo/Jefferson County Sheriff's Department

Von "Gewaltverherrlichung" ist die Rede, "das kann nicht gut für junge Menschen sein", "Killerspiele konditionieren Heranwachsende zur Gewalt", "so ein Blödsinn, ich erschieße jeden Tag Computergegner und bin dennoch Pazifist" - wenn man einen Blick in die Foren zu Berichten wirft, die über die aktuellen Entwicklungen in der so genannten "Killerspiel-Debatte" berichten, hat man das Gefühl, es gäbe gar keinen richtigen Diskurs. Hier gibt es lediglich zwei Seiten mit zwei vorgefertigten Meinungen. Allerdings scheint dies nicht nur auf Konsumentenseite so zu sein, selbst Entscheidungsträger und Politiker argumentieren, als ob sie von Meinungen, anstatt Erkenntnissen getrieben würden. Bei jedem Amoklauf eines Jugendlichen wird sofort nachgeforscht, ob der Täter vielleicht brutale Computerspiele konsumiert hat. Allein schon die Bezeichnung "Killerspiel" impliziert bereits Negatives, aber ist dies auch nur Ansatzweise gerechtfertigt?

Zu Komplex für ein Spiel

Ganz offensichtlich handelt es sich um ein äußerst schwieriges Thema, das eigentlich von Fachkundigen und nicht von Meinungsträgern diskutiert werden sollte. Rasch werden Schlüsse gezogen, Zusammenhänge hergestellt und Aussagen wie "Gewaltspiele fördern aggressives Verhalten" getroffen. Nach Deutschland hat nun auch die Schweiz beschlossen, besonders brutale Videospiele zu verbieten. Für die Initiatorin der schweizer Gesetzesinitiative, der Sozialdemokratin Evi Allemann, ist klar, dass "ein exzessiver Konsum von Actiongames einen Einfluss auf das Aggressionspotenzial hat." Aber entspricht dies auch den Erfahrungswerten der Wissenschaft?

"Tatsächlich wissen wir heute immer noch sehr wenig über die Wirkung von Computerspielen und werden es wahrscheinlich auch in Zukunft niemals vollständig wissen", erklärt Michael Wagner von der Donau-Uni Krems. Wagner ist Universitätsprofessor für Technologieunterstütztes Lernen und Multimedia und in seiner Tätigkeit einer jener wenigen Experten, die sich dezidiert mit der Wirkung von Videospielen beschäftigen. "Die meisten Expertinnen und Experten, die zum Thema Computerspiel forschen, gehen heute davon aus, dass es keine oder maximal eine vernachlässigbare Wirkung gibt", so Wagner. Aber weshalb finden sich dann immer wieder Studien, die auf eine aggressionsfördernde Eigenschaft von Videospielen hinweisen. "Der Grund für die weite Streuung der Aussagen liegt darin, dass man auch als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler bei einem derartig emotionalisiertem Thema Gefahr läuft, die eigene Meinung unbewusst in die wissenschaftliche Bewertung einfließen zu lassen. Da es sich um ein extrem schwierig zu erforschendes Gebiet handelt, ist dies leider häufiger der Fall als es eigentlich sein sollte."

Amokläufer kommen nicht aus dem Computer

Wagner nach dürfte die Komplexität also eine wesentliche Rolle bei der Meinungsbildung spielen. "Es handelt sich um ein Thema, dass für jedermann leicht zugänglich ist und eine auf dem so genannten Hausverstand beruhende Scheinlösung anbietet. Tatsächlich ist die Problematik allerdings erheblich komplizierter, als man selbst als Experte auf den ersten Blick annimmt." Laut dem Wissenschaftler sei dies der Grund dafür, weshalb die Debatte auch in den Massenmedien nicht differenzierter geführt würde. "Diese Komplexität ist dem Großteil der Bevölkerung nicht vermittelbar und stößt daher in den Massenmedien auf geringes Interesse."

Aber welche klaren Erkenntnisse gibt es denn? Können Gewaltspiele nun vielleicht doch Gewaltausbrüche in der Größenordnung eines Amoklaufs provozieren? "Dazu gibt es aus wissenschaftlicher Sicht ein ganz klares Nein, selbst von den heftigsten Kritikern von Computerspielen. Computerspiele können ein derartiges Verhalten nicht auslösen", betont Wagner. "Die Gründe für einen Amoklauf liegen in der Regel in einer tiefgehenden persönlichen Verletzung, die sich über Jahre hinaus aufbaut. Wenn überhaupt ist der Konsum von derartigen Spielen höchstens ein Symptom aber niemals eine Ursache."

Sind Verbote sinnvoll?

Weshalb greifen dann Österreichs deutschsprachige Nachbarländer dennoch zur Brechstange und boxen Verbote durch? "Es gibt in den deutschsprachigen Ländern eine gewisse Tradition der so genannten Bewahrpädagogik, also der Tendenz, Medien oder Inhalte, die als gefährlich betrachtet werden, lieber zur Sicherheit zu verbieten", so Wagner. Dabei stelle sich aus Konsumentensicht überhaupt die Frage, wie sinnvoll derartige Verbote sind. Dank Euro und EU stellen Importe schließlich auch keine Hürde mehr da. "In der heutigen Zeit hat sich dieser Ansatz (des Verbietens) vollkommen ad absurdum geführt. Durch ein Verbot werden Inhalte für die Jugendlichen noch interessanter und die Verbreitung durch das Internet lässt sich mit rechtsstaatlichen Mitteln heute nicht mehr verhindern. Durch ein Verbot erreicht man also genau genommen gerade das Gegenteil dessen wofür Jugendschutz steht", meint Wagner und teilt damit die Ansicht des Leiters der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (BuPP) Herbert Rosenstingl.

Rosenstingl unterstützt als Mitarbeiter des "Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend" Eltern dabei, sich mit dem Spielverhalten Ihrer Kinder auseinander zu setzen. Darüber hinaus empfiehlt das BuPP auch bestimmte, dem Alter der Jugendlichen entsprechende Spiele. Dass Verbote von Erfolg gekrönt würden, sieht auch Rosenstingl nicht. "International zeigt es sich immer wieder, dass Spiele nach der Indizierung eine weitere Verkaufsspitze erreichen und dass durch Importe die nationalen Maßnahmen der Anpassung umgangen werden."

Beruhigung und was hilft wirklich?

Trotz erregter Gemüter, hat der BuPP-Leiter nicht den Eindruck, dass der nicht altersgemäße Konsum von Videospielen ein massives Problem darstelle. "Abweichungen von ein oder zwei Jahren (dass also 10- oder 11-jährige Spiele mit der Kennzeichnung 12+ spielen) kommen zwar relativ häufig vor, da sind jedoch keine gravierenden Folgen zu befürchten. Größere Abweichungen scheinen selten." Wenn tatsächlich Kinder Inhalte konsumieren, die nicht für ihr Alter geeignet sind, läge dies seltener an reiner Neugier, als an familiären Umständen. "Wenn größere Abweichungen auftreten, dann scheinen diese im Allgemeinen im Zusammenhang mit schwierigeren Familien-Situationen zu stehen: Gleichgültigkeit und eine fehlende Gesprächsbasis zwischen den Erziehenden und den Kindern sind dort das zentrale Problem, das sich dann auch auf den Medienkonsum auswirkt", so Rosenstingl.

Demnach sei die grundlegende Kommunikation zwischen Eltern und Kindern der entscheidende Faktor beim Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen. "Information und Motivation der Erziehenden und Eltern, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen, ist der Schlüssel zum altersangemessenen Spielen." Gleichzeitig räumt er ein, dass es hierbei auch von Elternseite Mut kostet, an die oftmals unvertraute Thematik heranzutreten. "Die 'normalen' Differenzen und Ablösungsprozesse der Heranwachsenden machen es Eltern ohnehin schon schwer. Hinzu kommen hier eine Technologie und eine Art des Spielens, die den Erwachsenen fremd sind. Eltern brauchen dann den Mut, ihre Kinder schlicht zu fragen, was denn da im Spiel passiert und wie das funktioniert", gibt Rosenstingl zu bedenken.

Rechtslage und mögliches Verbot in Österreich?

Dass es in Österreich zu ähnlich breit angelegten Verboten kommt, wie etwa in Deutschland, ist ob derartiger Initiativen wie dem BuPP weniger wahrscheinlich. In Österreich ist die Lage überhaupt etwas speziell, da die Abgabe von Gewaltspielen an Jugendliche je nach Bundesland unterschiedlich geregelt wird. Hier kommen zwei Systeme zum Einsatz: Die wie in Deutschland eingesetzte und striktere USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) und der PEGI (Pan-European Game Information), wie er etwa auch in Großbritannien angewandt wird. Von Seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend heißt es dazu, dass man sich zurzeit mitten in den Gesprächen zur "bundesweiten Harmonisierung des Jugendschutzes" befände und Videospiel-Verbote nicht Gegenstand der Verhandlungen seien. Allerdings setze man "verstärkt auf eine Bewusstseinsbildung durch die Positivprädikatisierung von Computerspielen." In einer aktuellen Aussendung hat sich die SPÖ zumindest einmal für eine Wien-weite Konsolidierung auf das PEGI-System ausgesprochen. Derzeit werden Konsumenten in der Landeshauptstadt noch mit beiden Alterskennzeichnungen im Fachhandel verwirrt.

Fraglich sei, so Prof. Wagner abschließend, ob es überhaupt strengerer Auflagen bedarf. "Meiner Meinung nach reicht die derzeitige Gesetzeslage durchaus aus. Es ist ja auch jetzt schon möglich, Inhalte unter gewissen Umständen entweder zu verbieten und unter einen strengen Jugendschutz zu stellen." Videospiele als Sündenbock darzustellen, mache jedenfalls weder aus wissenschaftlicher, noch aus pädagogischer Sicht einen Sinn.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 28.3.2010)