Diese New Yorker Band macht große Kunst im Zeichen niedriger Instinkte. Jon Spencer gibt mit Heavy Trash aus New York den Gott der sozial Verwahrlosten.

 

Foto: Trost

Rock 'n' Roll ist zwar nicht gesund, aber er hält jung. Das hat zur Folge, dass die Szene über Jahr und Tag mit alten, frühzeitig faltigen und gebrechlichen Kindern vollgestopft wird, die von ihren Eislaufmüttern regelmäßig mit Saft, Zuckerln, Kuchen, Frotteehandtüchern, Wein aus der Wüste Gobi, Erdbeeren im November und lieben Tanten gefüttert werden wollen, denen immer schnell heiß wird - worauf sie sich sofort ausziehen müssen. Sie wollen doch alle nur spielen! Wenn es das alles einmal nicht gibt, drohen Backstage auf dem Bauch gestrampelte Trotzphasen, künstlerische Blockaden und Sätze wie "Ich hau dich gleich!".

Erwachsene können damit gut umgehen - weil sie Drohungen einschätzen können. Für den Rest der Welt wurden das Musikgeschäft und seine Dienstleister erfunden. Arme Seelen, die die Mutter Teresa für Ha-schischesser und Soziopathen geben, die wegen ihrer Unfähigkeit in puncto gesellschaftlicher Anteilnahme ihren Brotjob als Tankwart oder Regalschlichter bei Hartz IV loswurden und nun im Viervierteltakt die Jugendkultur mehr oder weniger bereichernd verwüsten. In dieser Welt ist der ewig unglücklichen, weil niemals als froh empfundenen Adoleszenz Tür und Tor geöffnet. Wie der dicke US-Country- und Western-Gott George Jones einst so treffend sang: "Hell stays open all night long".

Hört man Midnight Soul Serenade, das neue Album der deutlich bemerkenswerten New Yorker Band Heavy Trash, so finden sich diesbezüglich nicht nur lautstarke Bestätigungen bezüglich einschlägig unreifer und zum Guten gedeuteter künstlerischer Ausdrucksformen. Der über legendäre New Yorker Trash- und Noisebands wie Pussy Galore, Bosshog, Jon Spencer Blues Explosion bekannte und seit nunmehr drei Alben auch als Heavy Trash aktive Gitarrist und Sänger Jon Spencer ist ein Meister seines Fachs.

Nach dem Tod des im Winter verstorbenen Frontmanns der Cramps, des großen wilden Crossdresser- und Joe-no-goodnik-Kerl Lux Interior von den Cramps, liegt es nun an Jon Spencer, die Fahne des asozialen musikalischen Aufbegehrens hochzuhalten. Gemeinsam mit dem Gitarristen Matt Verta-Ray arbeitet sich der gute Mann an einer Form des Aufbegehrens ab, die den Eintritt Elvis Presleys in die US-Army immer strikt negiert - und den Punk mitdenkt. Das ergibt eine wilde und immer noch erstaunlich aggressiv klingende wie närrisch machende Musik außerhalb jeder Moden und Zeitläufte, die gerade aufgrund ihrer offensichtlichen Unzeitgemäßheit funktioniert.

Nach zwei Vorgängeralben, auf denen Heavy Trash mit antiquierten Instrumenten und Verstärkern ihre Position zwischen Rockabilly, Garagenrock und Protopunk inklusive ein wenig Hillbilly-Country-Romantik festmachten, ist nun die klassische Phase eröffnet worden. Elvis und sein Chor The Jordanaires werden durch alte Echokammern gejagt. Im Mittelpunkt der elf neuen Stücke stehen "Love and Devotion". Das macht aber rein gar nichts. Geholzt muss werden. Alte Riffs auf noch älteren Gitarren werden mit Kontrabass und klöppelndem Kochtopfschlagzeug kombiniert. Jon Spencer gibt den Elvis mit Schluckauf und Hormonstau. Nach spätestens zwei Minuten sind die Songs schon wieder aus - oder die Hölle ist am Dampfen.

Sollten Sie dieses Jahr nur eine Rock-'n'-Roll-CD kaufen, nehmen Sie diese. Große Kunst im Zeichen niedriger Instinkte. Jon Spencer ist der Gott der sozial Verwahrlosten. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.10.2009)