Die starken Frauen der Guarani-Kaiowá kämpfen mit List und Verführung: Marco Bechis versetzt den Western in "Bird-watchers" nach Brasilien.

Foto: Filmladen

Wien - An einem Wendepunkt stehen sich der Großgrundbesitzer und der Anführer der Indios gegenüber. Der weiße Mann möchte die Rechtmäßigkeit seines Anspruchs auf jenes Land betonen, das seine Familie bereits seit drei Generationen bearbeitet, damit es fruchtbar bleibt und im großen Stil agrarisch genutzt werden kann. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, greift er nach einer Handvoll Erde; der Indio wiederholt daraufhin wortlos ebendiese Geste. Doch anstatt die Erde durch seine Hände rieseln zu lassen, nimmt er sie in den Mund, zerkaut sie und schluckt sie hinunter.

Die Unvereinbarkeit zwischen den Opponenten - ihre Differenz schon in der elementaren Auffassung vom Wert des Boden - tritt in dieser so eindringlichen Szene aus Birdwatchers (La terra degli uomini rossi) plastisch hervor. Der chilenisch-italienische Regisseur Marco Bechis erzählt in seinem außergewöhnlichen Film das Drama der Rückeroberung eines Territoriums - ein äußerster, verzweifelter Schritt eines Eingeborenenstammes im brasilianischen Mato Grosso do Sul gegen die innere Entfremdung und drohende Auslöschung.

Die Guarani-Kaiowá zählten einmal mehr als 1,5 Millionen Menschen. Ihr Dasein gleicht dem anderer indigener Völker: Sie leben in Reservaten, schuften als Tagelöhner für fremde Gutsherren. Schon in der großartigen Eröffnungssequenz zeigt Bechis den äußersten Grad ihrer aufgezwungenen Selbstdemütigung an, wenn sie sich vor Touristen mit Pfeil und Bogen als Überraschungsmotiv in Szene setzen; danach kassieren sie Geld für dieses Schauspiel, das kein Leben mehr enthält.

Logik des Raumgewinns

Birdwatchers beginnt mit der Verschärfung einer Krise. Als zu einer Suizidserie unter den Indios zwei neue Fälle hinzukommen, beschließt der Anführer einer Gruppe, das Reservat zu verlassen und am Rande eines Ackerfelds zu siedeln, das einmal zum angestammten Land gehörte. Ein Akt der Provokation aus Sicht des weißen Besitzers, der prompt einen Wächter abkommandiert, um jeden weiteren Übertritt zu verhindern. Bechis macht in seinen genau kadrierten Breitwandbildern (Kamera: Hélcio Alemão Nagamine) auch auf einer abstrakten Ebene deutlich, dass es um Raumgewinn und -verlust geht, wenn er immer wieder neue Linien (durch Zäune, Menschenreihen, Artefakte) zieht.

Dennoch geht es hier weniger um eine Logik der Eskalation nach Vorbild des Westerns als darum, die Fronten offen zu gestalten. Die Guarani-Kaiowá-Frauen zeigen sich von der Autorität des Wächters unbeeindruckt und spannen "Mr. Big Dick" für ihre Zwecke ein. Die Jugendlichen der verfeindeten Parteien finden dagegen an einem See ganz zwanglos zu einem Einverständnis. Bechis' Blick auf das Geschehen ist fern davon, eindeutige Oppositionen festzuschreiben. Er mystifiziert weder die Wilden, noch dämonisiert er die Eroberer. Die Verwerfungen der Geschichte sind nicht rückgängig zu machen, sie haben hier in allem Spuren hinterlassen.

Für die Guarani-Kaiowá ist die Besetzung des Landes jedoch der Versuch, wieder an eine vernachlässigte Tradition anzuschließen. Ein Schamane versucht einen bösen Geist zu beschwichtigen, der als umherschwirrende Handkamera manchmal auch vom Film Besitz ergreift. Der Bruch mit der Linie der Ausbeutung hat zum Ziel, das Selbstbewusstsein, das Wissen um die eigene Identität zu stärken - daraus erhoffen sich die Indios einen Ausweg aus ihrer Misere.

Man muss festhalten, dass Bechis das Wagnis einging, mit Indios zu arbeiten, die keine Erfahrung mit Kameras haben. Er habe ihnen Hitchcocks Die Vögel, Leones Italo-Western zur Vorbereitung gezeigt, hat der Regisseur erzählt. Die Präsenz dieser ungewöhnlichen Darsteller ist nicht der unwichtigste Grund für die Kraft dieses Films, der mit einem Schrei endet, der für die Kluft zwischen zweier Kulturen steht. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe 2.10.2009)