Kostümentwurf "Equilibre de Danse" , ein Druck von M. Larionow.

Foto: Theatermuseum München

Wien - Die innovativste Figur im zeitgenössischen Ballett ist unbestreitbar William Forsythe, von dem zur Zeit zwei Videoarbeiten in der Ursula-Blickle-Lounge der Kunsthalle Wien zu sehen sind. Vor einem Jahrhundert gehörten die "Ballets Russes" zu den aufgeschlossensten Vertretern der Ballettmoderne. Ihnen ist im Wiener Theatermuseum eine schöne Ausstellung unter dem Titel Schwäne und Feuervögel gewidmet.

Symbolfiguren des Russischen Balletts, das 1909 im Pariser Théâtre du Châtelet erstmals aufgetreten ist, sind der Impresario Serge Diaghilew und der Tänzer Wazlaw Nijinsky. Die von Claudia Jeschke und Nicole Haitzinger (beide vom Salzburger Institut für Tanzwissenschaft) kuratierte Ausstellung liefert aber keine Personality Show, sondern gibt mit zum Teil bisher noch nie ausgestellt gewesenen Materialien Einblicke in die künstlerische Entwicklung der Ballets Russes. Das Generieren von damals hochprogressivem Ballett aus Schrift und Bild sowie die Verbindung zwischen der russischen Avantgarde und den Tanzavantgardisten sind richtungsweisende Ansätze der Ausstellung.

Denn die Tanzgeschichte der russischen Avantgarde bis 1925 - unter anderen mit Nicolaj Foregger oder Alexej Krucenych und Welimir Chlebnikow (auf letzteren bezogen sich bei Impulstanz 09 in ihrem Stück "Performance must go ->" auch Andrea Maurer und Thomas Brandstätter) - ist noch kaum aufgearbeitet.

Zerlegung in Elemente

Über Entwürfe von Natalja Gontscharowa, Georgi Pojidajew und Michail Larionow lässt sich der Einfluss der Avantgardisten auf die "Ballets Russes" ab Mitte der 1910er-Jahre gut nachvollziehen. In einer Bewegungsstudie von Larionow von 1915 ist zu sehen, wie der tanzende Körper in grafische Elemente zerlegt wird, und in einer wunderbaren Skizze für "Les Contes Russes" konstruiert der Künstler eine an Picassos Abstraktion erinnernde Schwanenprinzessin.

Mitte der 1920er-Jahre wurde die russische Avantgarde vom Sowjetregime zerschlagen, und im Westen verband sich der Dadaismus mit dem Tanz - etwa bei Rolf de Marés Schwedischem Ballett in Relâche (1924) -, bevor in den 30ern die europäische Umnachtung einsetzte. Erst mit William Forsythe erhielt das Ballett wieder eine Chance, den Tanzdiskurs mitzugestalten. In jüngerer Zeit untersucht Forsythe das Verhältnis von Tanz und Choreografie zur Zeichnung und zur Installation, wie im Vorjahr mit Scattered Crowd bei Impulstanz zu sehen war.

Die beiden Videoarbeiten in der Kunsthalle zeigen bis 31. August den Choreografen selbst - der noch bis Ende November auf der Biennale in Venedig sein choreografisches Objekt The Fact of Matter präsentiert - in einer Studie über die Wahrnehmung von Schwerkraft und einer zweiten über die Verwicklung einer Figur in ein Seil. Beide Resultate eines erweiterten Choreografiebegriffs, der für den zeitgenössischen Tanz immer stärker gilt, für das Ballett aber geradezu unerhört ist. Bei Impulstanz ist Forsythe heuer nicht zu Gast, aber es gab und gibt immerhin zwei Stücke im Programm, die sich mit den "Ballets Russes" verbinden. Einmal Xavier Le Roys Le Sacre du printemps und - bis 11. August - Faune(s) von dem jungen Franzosen Olivier Dubois, in dem dieser Nijinskys L'Après-midi d'un faune (1912) auf die Bühne zitiert. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, Printausgabe, 10. 8. 2009)