Tiktok hat unbestritten Qualitäten und ist für viele eine Einnahmequelle und für die Zusehenden Nachrichten- und Unterhaltungsplattform. Doch es wird einem nicht leicht gemacht, Inhalte wie Hass und Gewaltaufrufe zu melden.
AP/Mariam Zuhaib

Vor der Wahl in der EU versuchen die großen Plattformen für möglichst guten Wind in eigener Sache zu sorgen. Man nehme die Bedrohungen durch Desinformationskampagnen ernst, man gehe gegen Gewalt und Hass im Netz vor, und die internen Moderationssysteme seien noch einmal personell und technisch aufgestockt worden. Zumindest ist es das, was uns Facebook, Instagram, Tiktok und Co glauben machen wollen. Vor allem die Meta-Plattformen standen jüngst in der Kritik, da es – so der Verdacht der EU-Kommission – zu gezielter russischer Desinformation über das Werbeprogramm gekommen ist.

Außerdem steht der Vorwurf im Raum, die Onlinedienste würden ihre Meldesysteme möglichst kompliziert und verwirrend gestalten. Ja, sogar sogenannte Dark Patterns sollen im Spiel sein. Dabei werden Menüs so gestrickt, dass Userinnen und User zu Klicks auf Punkte verleitet werden, die für sie nachteilig sind. Gegen Tiktok und Meta laufen bereits Verfahren nach dem europäischen Rechtsrahmen, der derartige Praktiken untersagt. Doch wie schlimm sind die Meldesysteme nun wirklich? DER STANDARD hat sie ausprobiert.

Die Meta-Plattformen: Oje

Die Meldesysteme von Instagram (links) und Facebook (Mitte, rechts) wirken extrem verwirrend und führen dann auch noch in vielschichtige Untermenüs.
Screenshots Instagram/Facebook

Den Meldebutton zu finden ist auf Instagram überhaupt kein Problem. Es genügt ein Klick auf das Dreipunktmenü, und es öffnet sich ein Fenster, in dem die Meldefunktion sogar rot hervorgehoben ist. Doch danach wird es kompliziert: Meta lässt die User aus 13 verschiedenen Kategorien wählen, warum sie den Beitrag melden wollen.

Eine logische Einteilung sucht man vergeblich, es scheint sogar, als würde man absichtlich Verwirrung stiften wollen. Ein Beispiel: Warum existiert die Kategorie "Verkauf illegaler Güter", wenn man ganz unten auch "Rechtswidrig" auswählen kann? Illegal ist schließlich illegal. Ebenso gibt es einen Punkt Gewalt, den man durchaus auch als rechtswidrig bezeichnen könnte. Es wird aber noch besser: Klickt man "Rechtswidrig" an, erscheint ein weiteres Menü, in dem man den Grund der Meldung noch einmal angeben muss. Hier sind dann Hassrede und Belästigung plötzlich in einem Punkt zusammengefasst, die vorhin noch zwei Punkte waren. Auch der Antrag auf Löschung personenbezogener Daten verbirgt sich hier in dem Sub-Sub-Menü. Wozu es den Punkt "Gefällt mir einfach nicht" gibt und warum man Inhalte deshalb melden sollte, ist ebenfalls völlig unklar. Klarer wird, warum die EU-Kommission den Meldeprozess der Plattformen von Meta so scharf kritisiert. Der gesamte Prozess wirkt völlig willkürlich und unnötig kompliziert.

Apropos kompliziert: Ein Blick zur Schwesterplattform Facebook lässt Böses erahnen. Zwar ist auch hier der Meldebutton schnell gefunden, und auf den ersten Blick wirkt der gesamte Prozess ähnlich wie bei Instagram und sieht auch optisch identisch aus. Bei genauerem Hinsehen stellt sich der Meldevorgang sogar als noch komplizierter heraus. Hier muss man nämlich aus 14 verschiedenen Kategorien wählen, die sich teilweise überschneiden. Und wieder gibt es eine Auflistung von Gründen, die sich auf rechtswidrige Inhalte beziehen, und die eigene Option "rechtswidrig".

Aber es geht bei Facebook sogar noch besser: Wählt man den Punkt "Etwas anderes", erscheint ein neuerliches Menü, diesmal mit 16 Unterkategorien, die sich auch wieder unterscheiden. So gibt es eigene Menüs für "Belästigung" und "Mobbing" und "Drogen" oder "Verherrlichung von Drogenmissbrauch", und Hassrede kommt doppelt vor. Immerhin hat Facebook in dem Schaltflächen-Wulst eine Suchfunktion eingebaut. Ein unkompliziertes Meldesystem geht definitiv anders. Der Vorgang ist übrigens auf Mobilgeräten identisch zur Desktop-Variante.

Threads ist nicht besser

Da wundert es wenig, dass auch auf der neuen Plattform Threads ein ähnlich undurchsichtiger Prozess herrscht. Immerhin kann man hier eine eigene Problembeschreibung eingeben, wenn man sich durch Nonsens-Optionen wie "Gefällt mir einfach nicht" gescrollt hat und den Punkt "Andere Gründe" auswählt.

Einen eigenen Punkt, in dem man Inhalte nach dem geltenden europäischen Recht melden kann, sucht man bei allen drei Plattformen vergeblich.

Tiktok: Hauptsache kompliziert

Willkommen in der Tiktok-Menüwüste. Eine Expertin oder einen Experten für Strafrecht sollte man auch mit dabei haben, denn die Videoplattform verlangt nach einer möglichst genauen Beschreibung geltenden Rechts.
Screenshot Tiktok

Die politisch aktuell heiß umstrittene Videoapp Tiktok macht eine Meldung von illegalen Inhalten, Desinformation oder Hassnachrichten sogar noch schwieriger. Hier muss man aus gezählten 28 Kategorien wählen, die sich nur marginal unterscheiden. Schließlich sollte es keinen Unterschied machen, ob man einen Beitrag als "Schwindel", "Betrug" oder "illegale Dienstleistung" meldet – illegaler Inhalt ist illegaler Inhalt. Auch hier gibt es wieder einen Extrabutton für widerrechtliche Inhalte, wobei tatsächlich zwischen "Hassrede" und "illegaler Hassrede" sowie "Gewalt" und "Gewaltverbrechen" unterschieden wird. Wählt man eine der Optionen aus, erscheint meist noch einmal ein Submenü mit Auswahlmöglichkeiten, um den Grund der Meldung zu "präzisieren".

Will man selbst die Meldung verfassen oder hat einfach keine Lust, sich durch verwirrende Untermenüs zu wühlen, sollte man am besten studierter Strafrechtler sein. Denn Tiktok verlangt bei einer frei verfassten Meldung tatsächlich den dazupassenden Gesetzestext vom User. "Bitte gib Einzelheiten des Gesetzes an, gegen das der Inhalt angeblich verstößt. Bitte gestalte deine Angaben so genau wie möglich", heißt es da. Außerdem muss man die Meldung "unterschreiben". Immerhin findet sich hier ein Hinweis auf den Digital Services Act, es werden nämlich die "vertrauenswürdigen Melder" genannt, also jene Institutionen der EU-Mitgliedsländer, die erste Ansprechpartner bei Regelverstößen sind. In Österreich ist es übrigens die Komm Austria, bei der sich Organisationen als Trusted Flagger bewerben können. Ansonsten sucht man einen Hinweis auf den Digital Services Act vergeblich.

Youtube: Nicht ideal, aber zweckmäßig

Im Vergleich zu Tiktok und Facebook wirkt das Meldesystem von Youtube schon aufgeräumt, auch wenn es hier wieder einige Untermenüs gibt. Immerhin widersprechen sich die Auswahlmöglichkeiten nicht auch noch.
Screenshot Youtube

Auch die Videoplattform von Google bemüht sich derzeit ganz besonders, nur ja keine Negativschlagzeilen in Hinblick auf die kommenden Wahlen in der EU und den USA zu produzieren. Stattdessen betont man bei Youtube gerne, wie viel Aufwand in die Content-Moderation gesteckt wird – und vor allem, wie rigoros man gegen russische Fake-News-Kampagnen vorgeht.

Nach den Erfahrungen mit Tiktok und den Meta-Plattformen wirkt das Meldesystem von Youtube beinahe schon aufgeräumt, weil man nur aus sieben Kategorien wählen muss. Diese splitten sich zwar meist noch einmal in drei bis vier Unterpunkte auf, der ganze Prozess wirkt aber bei weitem nicht so verwirrend und absichtlich kompliziert gestaltet wie bei der Konkurrenz. Nicht ideal, aber immerhin fühlt man sich nicht auf falsche Fährten gelockt.

X ist unkompliziert

Inhalte wie Desinformation kann man auf X mit einem eigenen Button nach EU-Recht melden. Ob das Moderationsteam nach einer solchen Meldung wirklich tätig wird, ist freilich noch eine andere Frage.
Screenshot X

Kommen wir zur Überraschung des Tests: X, vormals Twitter. Seit der Übernahme durch Elon Musk hat die Plattform keinen besonders guten Ruf, um es vorsichtig zu formulieren. Musk persönlich hat sich bemüht, gebannte Neonazis auf die Plattform zurückzuholen, und verhalf dem Frauenhasser und Beschuldigten in einem Prozess um Menschenhandel Andrew Tate zurück an die Öffentlichkeit. Das alles geschieht unter dem Deckmantel der "Meinungsfreiheit". Zumindest so lange, bis Musk selbst betroffen ist, denn der Milliardär hatte in der Vergangenheit keine Hemmungen, gegen Poster vorzugehen.

Immerhin hat X aber die Meldung von Inhalten nach europäischem Recht als einzige Plattform auch als solche deklariert und einen eigenen Button für Beschwerden nach dem Digital Services Act eingefügt. Dieser leitet auf ein Formular weiter, in dem der Nutzername und der Link des Postings bereits ausgefüllt sind. Mit einigen wenigen Klicks ist die Meldung erledigt, auch wenn die Seite ein wenig wie ein Beiblatt zur Steuererklärung aussieht. Lobend sei erwähnt, dass dieses Formular auch auf Mobilgeräten gut zu bedienen ist.

Ob dann das Moderationsteam von X tatsächlich eingreift und Postings entfernt, ist freilich nicht garantiert. Aus eigener Erfahrung des Autors bekommt man zwar bei X relativ schnell eine Rückmeldung, aber meist heißt es, dass man keinen Verstoß erkennen konnte. Immerhin wird auf die Möglichkeit eines Einspruchs hingewiesen.

Beschwerden und Whistleblower

Sollte auch der Einspruch nichts nützen, dann bleibt in Österreich noch immer der Weg einer offiziellen Beschwerde bei der Komm Austria. Wer Informationen über Plattformen hat, die systematisch gegen europäisches Recht verstoßen, kann auch das anonyme Whistleblower-Tool benutzen. (Peter Zellinger, 13.5.2024)