Anzengruber Innsbruck Bürgermeister 
Zeigt er einen neuen Politikstil vor? Johannes Anzengruber betont jedenfalls das Miteinander – und wurde damit Bürgermeister von Innsbruck.
Florian Scheible

Johannes Anzengruber hat die ÖVP zumindest eine Lektion fürs politische Leben gelehrt. Die Menschen haben Zank, Hader und Missgunst in der Politik satt. Sie wollen Verbindlichkeit und einen, der mit allen kann. Das hat der künftige Innsbrucker Bürgermeister, den die ÖVP ausgeschlossen hat, eindrucksvoll im Wahlkampf bewiesen – und am Wahlabend gleich weiter gelebt.

Anzengruber feierte in einem "linken" Lokal, gemeinsam mit dem unterlegenen Grünen Georg Willi und der SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayer. Ob daraus gleich eine Innsbrucker "Caprese-Koalition" wird, zeigt sich in den kommenden Tagen. Doch die Botschaft ist klar: Gemeinsam, auf Augenhöhe, mit Respekt füreinander, mit allen reden – so könnte Politik künftig funktionieren.

Das dachten auch dreißig bekannte Persönlichkeiten abseits der Politik. Sie starteten vor kurzem eine private Initiative, um "mehr Grips" in die Politik zu bringen. Es geht, grob umrissen, um bessere Ideen für die Zukunft. Auch ihre Devise lautet: sich zusammensetzen, zuhören, die Ideen der anderen nicht gleich abtun. Die Ergebnisse des Mega-Brainstormings sollen folgerichtig allen Parteien zur Verfügung gestellt werden.

Theoretisch konstruktiv

Die meisten Politikerinnen und Politiker wünschen sich übrigens nicht den Dauerkonflikt. Menschen werden Politiker, weil sie, wie sie oft betonen, "gestalten" wollen. So weit die Theorie.

In der Praxis leidet das politische System an starken Fliehkräften, die ihre Energie just daraus beziehen, dieses System auseinanderreißen zu wollen. Es gibt Parteien und Politiker, vornehmlich am rechten, bisweilen auch am linken Rand, deren politischer Inhalt darin besteht, grundsätzlich dagegen zu sein. Sie fördern negative Gefühle, freuen sich über Zank, Hader und Spaltung der Gesellschaft – denn das belebt ihr Geschäft. In Österreich ist es vor allem die FPÖ, die sich am "System", der liberalen Demokratie und dem Rechtsstaat, abarbeitet. Herbert Kickls FPÖ verachtet konkurrierende Parteien, macht deren politische Inhalte lächerlich und nennt alle, die ihr nicht in den Kram passen, "Volksverräter".

Von Innsbruck lernen

Umso wichtiger wäre es, wenn nicht nur die ÖVP ihre Lektion von Innsbruck lernt. Konstruktiv gestrickte Politikerinnen und Politiker sollten sich nicht vom Feindbild-Stakkato treiben lassen. Die Konkurrenz ausschließlich sachlich zu kritisieren, auf die schnelle Replik, das saftige Bonmot oder die "harte Ansage" zu verzichten wäre eine sinnvolle Stiländerung. Konzepte gut überlegt auszuarbeiten und zu ihnen zu stehen ebenso. Fast täglich Ideen abzufeuern, die sich am nächsten Tag als zu kurz gegriffen oder nicht umsetzbar erweisen – Stichwort "Leitkultur" –, führt nicht zum Erfolg.

Oft heißt es, man würde ja gerne mehr Substanz liefern. Aber medial gefragt seien immer nur die schnelle Schlagzeile, die harte Kritik am politischen Gegner. Sachpolitik und hart ausgehandelte Kompromisse gälten als langweilig. Wer so argumentiert, übersieht die Realitäten. Viele Umfragen belegen inzwischen das dramatisch sinkende Vertrauen der Bevölkerung in die Politik. Und die schnelle Schlagzeile trägt Medien nicht über den Tag. Inhaltlich gehaltvolle Geschichten tun dies sehr wohl. Die Ansprüche der Menschen an die Demokratie haben sich verändert. Es wird Zeit, dass die Politik darauf reagiert. (Petra Stuiber, 29.4.2024)