Noch-Bürgermeister Georg Willi (die Grünen), Elli Mayr (SPÖ), und Neo-Bürgermeister Hannes Anzengruber (Ja - Jetzt Innsbruck) während der Wahlparty nach der Bürgermeister-Stichwahl
Starteten am Sonntagabend schon indirekt die Koalitionsverhandlungen: der neue Bürgermeister Johannes Anzengruber (Ja – Jetzt Innsbruck, rechts), der scheidende Stadtchef Georg Willi von den Grünen und SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayer bei der Wahlkampfparty Anzengrubers.
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Es ist nicht gerade das natürliche Habitat des bürgerlichen Innsbruck. Wer es nicht schon wusste, erfährt es spätestens am Eingang. "Bitte keinen schwarzen Bürgermeister", steht in großen weißen Lettern auf schwarzem Grund. Die Plakate hat man nicht nur im Foyer, sondern auch sonst an mehreren Stellen affichiert. Damit es auch der letzte versteht: Hier, im Treibhaus, ist nicht der Platz für das konservative Innsbruck. Nicht für Schützenvereine und Trachtenjanker. Und nicht für einen schwarzen Bürgermeister.

Trotzdem gibt es den jetzt. Zumindest quasi. Und wo feiert der neue, quasi-schwarze Bürgermeister seine offizielle Wahlkampfparty? Im Treibhaus. Der Subkultur-Institution schlechthin in Tirols Landeshauptstadt. Wo seit mehr als vier Jahrzehnten große Jazzer, heimische Kabarettistinnen und die linksliberale Studentenszene ein und aus gehen. Aber eher nicht das klassische Unterstützermilieu vom in der Stichwahl am Sonntag zum Stadtchef gewählten Johannes Anzengruber, der bis vor kurzem noch ÖVP-Mitglied war. Wie also das?

Video: Innsbruck-Wahl: Anzengruber gewann Stichwahl mit 59,59 Prozent.
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Gefinkelte Idee

"Anzengruber hat mich angerufen und gefragt, ob er hier feiern kann", sagt Norbert Pleifer, Treibhaus-Leiter und linke Instanz an der Nordkette, dem STANDARD. "Da habe ich zuerst einmal geschluckt." Dann aber sei ihm die gefinkelte Idee gekommen: Er kontaktierte auch die grünen Stichwahlgegner und lud zur Wahlparty ins Treibhaus. "Wer gewinnt, kann oben im Turm feiern. Wer verliert, muss runter in den Keller."

Das Team Anzengruber wollte aber auch als Wahlsieger lieber das Untergeschoß. Das ist größer, und man kann besser tanzen. Und so kam es, dass sich an diesem Sonntagabend so manch älterer Herr in Lodenweste der ausgelassenen Polonaise durch den Keller der Kultureinrichtung anschloss, in der er vorher noch nie war. Denn das Treibhaus ist zwar mitten im Altstadtzentrum. Aber "manche haben heute trotzdem Google Maps gebraucht, um herzufinden", wie es eine Unterstützerin des unterlegenen Noch-Amtsinhabers Georg Willi formuliert.

Rechenspiele und Realpolitik

Der Grüne verlor am Sonntag zwar nach sechs Jahren und nur einer Amtszeit am Inn den Bürgermeistersessel. Aber er gewann auch die Sicherheit, dass an dem, was er schon vor der Stichwahl wollte, kaum noch ein Weg vorbeiführt: einer "Caprese-Koalition" aus Grünen, SPÖ und Anzengrubers Liste "Ja – Jetzt Innsbruck". Wenn auch mit Anzengruber statt ihm selbst als Stadtchef.

Denn ein paar simple Rechenspiele in Kombination mit politischen Festlegungen ergaben schon vor der Stichwahl um den Bürgermeister: Außer den Koalitionsfarben Caprese ist nur noch wenig realistisch. Für die nötige Mehrheit von 21 der 40 Mandate hätte Anzengruber auch versuchen können, eine Mitte-rechts-Koalition mit der FPÖ und Florian Turskys unter dem Tarnnamen Das neue Innsbruck fungierender ÖVP-Liste aufzustellen. Deren gemeinsame 19 Mandate wären aber um zwei zu wenig. Und die kleine Liste Fritz, ein Volkspartei-Spin-off mit zwei Mandaten, hat bereits als Mehrheitsbeschafferin abgewunken.

Grün-Weiß-Rot tanzt Sirtaki

Der Ende des Vorjahres aus der ÖVP ausgeschlossene Anzengruber hatte zwar stets gebetsmühlenartig betont, Gespräche mit allen zu führen – wohl einerseits, um weiter rechts angesiedelte Wähler nicht abzuschrecken, andererseits um seinen eigenen Preis in Koalitionsverhandlungen in die Höhe zu treiben. Aber den kombinierten Gesetzen von Mathematik und Realpolitik dürfte auch der einstige Hüttenwirt nur schwer entkommen können. Offiziell führt Anzengruber ab Montag Sondierungsgespräche mit allen Gemeinderatsfraktionen. Sie finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne mediale Begleitung statt. Erst nach Abschluss der Sondierungen und wenn bis Ende der Woche eine Entscheidung über konkrete Koalitionsverhandlungen gefallen ist, werde man die Medien wieder informieren, hieß es von der Liste JA.

Das, was sich am Sonntagabend scheinbar aus dem nichts im Treibhaus zutrug, dürfte Anzengruber beim Bild von der "noch völlig offenen Koalition" aber nicht unbedingt helfen: Er erklomm gerade die Bühne, um sich von seinen Anhängern als neuer Bürgermeister feiern zu lassen. Da war Willi frisch auf Kurzbesuch von der grünen "Verliererparty" hineingeschneit. Offenbar spontan bestieg auch der Grünen-Politiker die Bühne – und mit ihm SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayr.

Während Anzengruber und seine Unterstützer kaum wussten, wie ihnen geschah, folgten minutenlange Reden der politischen Kontrahenten. Dass die Partycrasher in Grün und Rot bald wieder gingen, spielte schon keine Rolle mehr: Die Bilder der möglichen Caprese-Koalitionäre auf der Bühne von Anzengrubers Party hatten sich da schon schneller verbreitet als das Coronavirus in einer Ischgler Après-Ski-Bar. Und später tanzten die drei im Treibhaus-Turm auch noch gemeinsam Sirtaki.

Watsche für die Regierungsparteien

Und was sagt das alles über die Bundespolitik aus? Zunächst nicht rasend viel. Ließen sich aus dem ersten Wahlgang noch für ganz Österreich relevante Trends wie das neuerliche Scheitern der Neos oder die Etablierung der KPÖ herauslesen, ist die Stichwahl zwischen zwei sehr Inn-zentrierten Kandidaten vor allem eines: ein Innsbruck-Phänomen. Eine überregionale Erkenntnis bleibt aber doch: Das Ergebnis ist eine spürbare Watsche für beide Regierungsparteien.

Die Grünen, nach mäßig erfolgreicher Regierungsbeteiligung im Bund nicht gerade Umfragekaiser, verlieren ihren ersten und einzigen Bürgermeister einer Landeshauptstadt. Und das nach nur einer Amtszeit des einst großen Hoffnungsträgers Willi. Das hat in einem ohnehin schwierigen Superwahljahr mindestens Symbolkraft.

Die wahre Klatsche ist die Entscheidung aber für die ÖVP. Nach der weitverbreiteten Unzufriedenheit mit Willis turbulenter Amtszeit wäre die Rückeroberung des seit jeher konservativ geprägten Innsbruck fast schon eine "gmaade Wiesn" gewesen. Jetzt ist tatsächlich wieder ein Bürgerlicher Stadtchef am Inn. Aber nachdem die ÖVP Anzengruber abgesägt und an seiner Stelle mit Tursky einen parteitreuen Zentralkandidaten aus Wien installiert hat, trägt der Bürgermeister weder ein türkises noch ein schwarzes Mascherl. Ein verheerendes Signal für die kriselnde Volkspartei, die ein Erfolgserlebnis dringend gebraucht hätte. (Martin Tschiderer, 29.4.2024)