Frau beim Zahnarzt
Ein Besuch beim Zahnarzt ist niemals angenehm. Künstliche Intelligenz wird daran nichts ändern, kann die Arbeit aber effizienter gestalten.
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Künstliche Intelligenz (KI) wird nicht nur von Unternehmen in der freien Wirtschaft eingesetzt, auch Österreichs Sozialversicherungsträger hegen entsprechende Pläne. Das geht aus Ausschreibungen der IT-Services der Sozialversicherungen GmbH (ITSV) hervor, wie Algorithmwatch berichtete. Budgetiert ist das Vorhaben laut Ausschreibung mit 52,5 Millionen Euro, wovon zehn Millionen Euro allein auf den Bereich "Natural Language" entfallen.

Die ITSV ist eine 100-prozentige Tochter der österreichischen Sozialversicherungsträger und stellt diesen als IT-Dienstleister jene Technologie zur Verfügung, mit der teils sehr heikle Gesundheits- und Versichertendaten von rund 8,8 Millionen Menschen verwaltet werden. Wozu genau sollen also über 50 Millionen Euro ausgegeben werden? Und wie soll bei der Anwendung von KI die Sicherheit der teils hochsensiblen Daten bewahrt bleiben?

DER STANDARD hat über diese Fragen mit Moritz Mitterer gesprochen. Er ist sowohl Aufsichtsratsvorsitzender der ITSV als auch Vorsitzender der ÖGK-Hauptversammlung und kann somit aus der Sicht des IT-Dienstleisters ebenso wie aus jener des Auftraggebers, also der Sozialversicherungen, sprechen.

Ein festgelegter Rahmen

Bei den EU-weiten Ausschreibungen zum Thema KI handelt es sich um Dienstleistungs-Rahmenvereinbarungen, wie es aus der ITSV heißt: Es werden also über die nächsten vier Jahre Dienstleistungen im KI-Bereich für IT-Projekte hinzugekauft. Und zwar dann, wenn es in den entsprechenden Sozialversicherungen einen Bedarf an derartigen Lösungen gibt.

Was bedeutet: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar, ob, in welchem Ausmaß und für welche konkreten Projekte die besagten 52,5 Millionen Euro ausgereizt werden. Das hängt von den Anforderungen der Sozialversicherungsträger ab. Die Ausschreibung dient dazu, die Projekte dann bei Bedarf schneller umsetzen zu können.

Service verbessern

Mitterer betont, dass es bei dem Vorhaben vor allem darum geht, die Dienstleistung für die Versicherten zu verbessern. Dabei soll KI unter anderem in das Digitalisierungsprogramm "ÖGK 2030" einfließen, im Rahmen dessen verschiedene Prozesse und Leistungen der österreichischen Sozialversicherung digitalisiert werden.

Darunter fallen zum Beispiel der Einsatz einer ÖGK-App, die Digitalisierung der Eingangspost und die verbesserte Kostenerstattung von Wahlarztrechnungen. Durch die interne Verwendung von KI sollen Prozesse effizienter gestaltet werden.

Einen weiteren möglichen Anwendungsbereich sieht Mitterer im Bereich der bildgebenden Verfahren: Schlägt man sich etwa einen Zahn aus, so kann bei der Konzeption des Ersatzzahnes KI zum Einsatz kommen, der Arzt hat hier dann die Letztkontrolle.

Wahlarztrechnungen

Vor allem besteht aber Handlungsbedarf im Bereich der Wahlarztrechnungen. Denn hier gibt es inzwischen über 750.000 Einreichungen pro Monat – also in einem Ausmaß, das ohne Digitalisierung kaum in einem vertretbaren Zeitraum zu bewältigen wäre. Österreichweit sollen derartige Anträge durchschnittlich innerhalb von 14 Tagen bearbeitet werden, so das Ziel der Sozialversicherungen. Erreicht wird dieses Ziel aktuell nur in vier Bundesländern – Tirol, Salzburg, Kärnten und Burgenland –, österreichweit liegt der Durchschnitt bei 22 Tagen.

Künstliche Intelligenz soll helfen, derartige Prozesse zu beschleunigen. Die Dokumente sollen digitalisiert und zu einem möglichst hohen Grad automatisiert verarbeitet werden, sodass der Mitarbeiter im Idealfall nur noch die Letztkontrolle und die Freigabe übernimmt.

Moritz Mitterer, Aufsichtsratsvorsitzender der ITSV GmbH
Moritz Mitterer, Aufsichtsratsvorsitzender der ITSV GmbH: "Der Einsatz von KI ist alternativlos."
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Ende 2023 im Kurier beschriebene Situationen, laut denen Patienten aufgrund der bisherigen KI-Projekte länger auf ihre Erstattung warten mussten als zuvor, bezeichnet Mitterer als Einzelfälle, die sich aufgrund von fehlenden Dokumenten oder punktuellen technischen Problemen ergeben können. "Die Zahlen zeigen, dass es nicht möglich wäre, das aktuelle Aufkommen an Wahlarztrechnungen händisch abzuwickeln", sagt er. "Der Einsatz von KI ist also alternativlos."

Datenschutz

Nicht im Fokus sind laut Mitterer aktuell prädiktive Maßnahmen oder auch Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung. Unter anderem müsse man dabei nämlich abwägen, wie dies mit dem Schutz der sensiblen Daten vereinbar sei.

"Der Schutz sensibelster Daten ist im Gesundheitssystem das oberste Gebot, denn die Bevölkerung vertraut zu Recht darauf, dass gerade im Gesundheitsbereich mit den Daten sehr sorgsam umgegangen wird", sagt Mitterer. "Das führt dazu, dass Lösungen nur dann umgesetzt werden, wenn der Schutz der Gesundheitsdaten außer Frage steht. Dieser Aspekt wird vorrangig berücksichtigt."

Die ITSV sei nach den höchsten Sicherheitsstandards zertifiziert, sodass man hier keine Kompromisse machen könne. Mit anderen Worten: Widerspricht ein geplantes Projekt diesen Grundsätzen, dann wird es nicht umgesetzt, so die Devise.

Kein Chatbot für die Versicherten

Im Rahmen dieser Abwägung zwischen faktischem Nutzen für die Versicherten und dem Schutz ihrer Daten ist derzeit auch nicht geplant, einen ChatGPT-artigen KI-Chatbot für die Bevölkerung zu implementieren – ein derartiges Projekt des AMS hatte zu Jahresbeginn für Spott und Unmut gesorgt, vor allem aber aufgrund seines "AI Bias": Der AMS-Bot zeigte zum Start diverse Vorurteile, wenn er Jobs basierend auf dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung des Users vorschlug.

Sehr wohl wird in einem internen Pilotprojekt allerdings ein textbasierter Chatbot mit dem klingenden Namen "Gut gesagt, einfach gefunden" getestet. Mit dem Ziel, dadurch die digitale Kompetenz der Angestellten in den Sozialversicherungen zu stärken. (Stefan Mey, 29.4.2024)