Die Ozeane der Erde sind aktuell mit der zweiten großen Korallenbleiche innerhalb von zehn Jahren konfrontiert, womöglich ist es die schlimmste, die man bisher beobachten konnte. Ausgelöst wird die ökologische Katastrophe von rekordverdächtigen Meerestemperaturen, unter denen die Riffsysteme rund um den Globus seit Monaten leiden, wie die US-Klimabehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) am Montag mitteilte. Verantwortlich dafür ist vor allem der menschengemachte Klimawandel, dessen Auswirkungen in den vergangenen Monaten durch das Klimaphänomen El Niño erheblich verstärft wurden.

Die Folgen der Korallenbleiche sind weitreichend und betreffen nicht nur die jeweiligen marinen Lebensräume, auch die Lebensgrundlage vieler Menschen, ihre Ernährungssicherheit und die lokale Wirtschaft sind bedroht. Fachleute befürchten, dass nur eine baldige Trendumkehr bei den Meerestemperaturen das schlimmste verhindern kann, doch danach sieht es zumindest derzeit nicht aus.

Korallenbleiche am Great Barrier Reef
Die Aufnahme entstand am 5. April vor Lizard Island am Great Barrier Reef. Deutlich zu erkennen sind die bereits zahlreichen ausgebleichten Korallenstöcke.
Foto: AFP/DAVID GRAY

Symbionten in Gefahr

Der starke oder langanhaltende Hitzestress schadet vor allem den empfindlichen "Kooperationspartnern" der farbenprächtigen Nesseltiere: Korallenpolypen leben in Symbiose mit bestimmten verschiedenfarbigen Algen, von denen sie sich mit Nährstoffen versorgen lassen. Bei steigender Meerestemperatur beginnen die Algen, Giftstoffe zu produzieren, was bei den Korallen selbst wiederum Schäden verursacht. Sie stoßen ihre Symbionten ab und verlieren dabei ihre Farbe – dies führt zur sogenannten Korallenbleiche.

Die Konsequenzen sind teilweise dramatisch: Die Korallen wachsen nicht mehr und können sich schlechter gegen Feinde und Konkurrenten wehren. Kehren die Mikroalgen innerhalb einer bestimmten Zeit zurück, weil die Wassertemperaturen wieder sinken, kann sich die Koralle erholen, doch das kann mehrere Jahre dauern. Eine gestresste Koralle stirbt jedoch, wenn die Temperaturen zwei Monate lang um ein Grad Celsius über ihrer thermischen Grenze liegen. Ist das Wasser zwei Grad Celsius zu warm, kann sie etwa einen Monat überleben. Der Prozess geht häufig mit dem Absterben der ganzer Korallenbänke einher.

Vierte globale Korallenbleiche

"Da sich die Weltmeere weiter erwärmen, tritt die Korallenbleiche immer häufiger und stärker auf", erklärte Derek Manzello von der NOAA. Die Überwachung des Hitzestresses durch die NOAA basiert auf Satellitenmessungen, die seit 1985 kontinuierlich durchgeführt werden. Die aktuelle Korallenbleiche ist das vierte derartig umfassende Ereignis. Zuvor hatte man ähnlich starke weltweite Korallenbleichen 1998, 2010 und 2016 beobachtet.

Die ersten Warnsignale zeigten sich bereits im vergangenen Jahr in der Karibik und angrenzenden Gewässern, als man Ende Juli bei Swimmingpool-Temperaturen von über 38 Grad Celsius in den Gewässern um die Florida Keys planschen konnte. Die Hitzewelle breitete sich schließlich über die südliche Hemisphäre weiter aus. Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Korallen weltweit betroffen, darunter das australische Great Barrier Reef und die Riffe an den Küsten von Tansania, Mauritius, Brasilien, der Pazifikinseln sowie des Roten Meeres und des Persischen Golfs.

Die globale Satellitenkarte zeigt die von marinem Hitzestress betroffenen Gebiete für den Zeitraum vom 1. Jänner 2023 bis 10. April 2024.
Grafik: NOAA

El Niño und Klimawandel

Im August letzten Jahres hat die globale durchschnittliche Meerestemperatur einen neuen Rekord erreicht und liegt seitdem praktisch jeden Tag über dem Durchschnitt. Neben der Klimaerwärmung sorgt vor allem El Niño seit Juni letzten Jahres für zusätzliche Temperatursteigerungen in den Ozeanen. Mittlerweile jedoch mehren sich die Anzeichen dafür, dass das Klimaphänomen sich wieder abzuschwächen beginnt.

Die letzte große globale Korallenbleiche gab es 2014 bis 2016. Seitdem sind die Meerestemperaturen so stark gestiegen, dass die NOAA drei neue Hitzewarnstufen einführen musste. Doch es gibt Hoffnung: Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie kam anhand von Simulationen zu dem Schluss, dass hitzeempfindliche Organismen marine Hitzewellen in größeren Meerestiefen überstehen können.

Korallenbleiche am Great Barrier Reef
Lizard Island liegt rund 270 Kilometer nördlich von Cairns. Aus der Luft ist die Korallenbleiche amGreat Barrier Reef besonders augenfällig.
Foto: AFP/DAVID GRAY

Hilfreich ist dabei eine schützende Isolierung, die durch die Schichtung des Wassers zustande kommt. Wie das Team von der britischen Universität Exeter und der australischen Universität Queensland im Fachjournal "Pnas" berichtete, könnten die Meerestemperaturen bis zum Jahrzehnt von 2050 bis 2060 in 30 bis 50 Meter Wassertiefe zumindest bei moderater Erwärmung um 0,5 bis ein Grad ansteigen.

30 bis 50 Prozent sind dahin

In einem Szenario mit anhaltend hohen Treibhausgasemissionen sind es 1,2 bis 1,7 Grad Celsius. Das wäre für einige Korallenriffe eventuell noch auszuhalten. Steigt die globale Erwärmung jedoch um mehr als drei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, dürfte die Wassertemperatur auch in Tiefen zwischen 30 und 50 Metern mehr als 30 Grad erreichen. Die Korallenriffe hätten unter diesen Umständen kaum eine Überlebenschance.

Fachleute der NOAA schätzen, dass die Welt bereits jetzt 30 bis 50 Prozent ihrer Korallenriffe verloren hat. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten sie in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen ganz verschwinden. Immerhin gäbe es Fortschritte bei der Entwicklung von Maßnahmen gegen die Korallenbleiche, so die NOAA. Dazu zählt etwa die Verlegung von Korallenaufzuchtstationen in tiefere, kühlere Gewässer. Auch der Einsatz von großflächigen Sonnenschirmen könnte in einigen Gebieten zum Schutz der Korallen beitragen. Letztlich aber wären dies nur einzelne kleine Refugien. Für die globalen Riffbestände sieht es dagegen düster aus. (Thomas Bergmayr, 16.4.2024)