Hundebox im Gerichtssaal
Ein damals zwölfjähriger Bub soll von seiner Mutter als Bestrafung in eine Hundebox gesperrt worden sein. Nach Ansicht von Opferanwalt Timo Ruisinger habe es in der Causa aber auch ein Versagen der Behörden in Niederösterreich gegeben.
APA/CHRISTOPHER ECKL

Im aufsehenerregenden Fall rund um jenen Buben, der von seiner Mutter gequält und auch in eine Hundebox gesperrt worden sein soll, gibt es nun Forderungen an das Land Niederösterreich. Opferanwalt Timo Ruisinger, der den Minderjährigen sowie dessen Vater vertritt, argumentiert mit einem Versagen der zuständigen Behörden: Mitarbeiter im Bereich der zuständigen Bezirkshauptmannschaft (BH) Waidhofen an der Thaya hätten demnach "nicht adäquat" auf die dramatische und lebensgefährliche Situation reagiert, in die der Bub geraten war.

Der damals zwölfjährige Betroffene war am 22. November 2022 in einem abgemagerten Zustand und mit einer Körpertemperatur von nur noch 26,3 Grad Celsius zunächst ins Spital Waidhofen eingeliefert und in die Klinik Donaustadt überstellt worden. Davor hatte die BH innerhalb kurzer Zeit auch Kenntnis von zwei Gefährdungsmeldungen zweier unterschiedlicher Institutionen erhalten.

In einem Schreiben an das Amt der niederösterreichischen Landesregierung macht Opferanwalt Ruisinger nun ein Schmerzengeld in Höhe von 150.000 Euro geltend. Das Schriftstück liegt dem STANDARD vor. Außerdem wird die Übernahme der Haftung des Landes "für sämtliche zukünftige Schäden" gefordert, "da Spät- und Dauerfolgen evident sind".

Die Mutter des Buben wurde Ende Februar in einem Geschworenenprozess in Krems wegen versuchten Mordes, wegen Quälens unmündiger Personen sowie wegen Freiheitsentziehung zu 20 Jahren Haft verurteilt. Eine mutmaßliche Komplizin, die ehemalige Freundin der Mutter, erhielt als Beitrags- und Bestimmungstäterin wegen fortgesetzter Gewaltausübung 14 Jahre Haft. In beiden Fällen wurde auch eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Die Haftstrafen sind noch nicht rechtskräftig, weil die Verteidiger Rechtsmittel eingelegt haben. Dem Kind wurden zudem 80.000 Euro Schmerzengeld zugesprochen. Ruisinger hatte als Privatbeteiligtenvertreter zuvor 150.000 Euro gefordert.

Im aufsehenerregenden Prozess gab es Haftstrafen in Höhe von 20 Jahren für die Kindesmutter sowie 14 Jahre für die mutmaßliche Komplizin, eine ehemalige Freundin der Mutter. In beiden Fällen wurde auch eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
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Gefährdungsmeldungen seitens Schule und Spital

Die nunmehrigen Forderungen ans Land Niederösterreich würden sich laut Ruisinger aus den Hauptverhandlungsprotokollen ergeben. Demnach hat die Schule des Kindes am 24. Oktober 2022, also knapp einen Monat vor seiner Einlieferung, eine erste Gefährdungsmeldung eingebracht. Bereits davor gab es wegen diverser Probleme einige Behördenkontakte zwischen der BH und der Mutter des Kindes. Laut der Mitteilung der Schule an die Kinder- und Jugendhilfe habe der Junge in den ersten Schulwochen noch mehr an Gewicht verloren als über die Sommerferien. Hingewiesen wurde auch auf lange Schulabwesenheiten, die die Mutter zunächst mit Krankheiten und später mit einer Schulverweigerung des Jungen erklärt hat. Zudem wurde auch der große Hunger des Jungen erwähnt. Zu den Verletzungen an beiden Handgelenken des Jungen wurden in der Schule andere Angaben als im Spital gemacht.

Bei einem unangekündigten Hausbesuch von Behördenmitarbeitern am 28. Oktober 2022 ist nach Ansicht des Anwalts verabsäumt worden, nachzusehen, ob sich ausreichend Essen im Kühlschrank befindet. Außerdem soll es nach Urin gerochen haben. Die Wohnung war nur spärlich eingerichtet, etwa mit einem Sessel. Das Kind soll nach Angaben der Mutter mit dem Buben in einem Doppelbett geschlafen haben. Die Mitarbeiter der Behörde hätten verabsäumt, ein Gespräch mit dem Jungen alleine zu führen. Nur wenige Tage später lief das Kind von der Schule weg, konnte aber nur eine Viertelstunde später von Polizeibeamten aufgegriffen werden.

Am 10. November 2022 erfolgte eine weitere schriftliche Gefährdungsmeldung durch das Landesklinikum Zwettl. Demnach hatte die Mutter des Kindes mehrmals eine geplante und nach Ansicht der Ärzte notwendige stationäre Abklärung wegen der Wundheilungsstörung verweigert. Ohne Abklärung und Therapie könne es zu einer irreversiblen Schädigung der Arme und Beine kommen, wird ärztlich festgehalten. Dazu kam am 11. November eine Anzeige der Schule wegen weiteren unentschuldigten Fernbleibens von der Schule.

Bei einem neuerlichen unangekündigten Hausbesuch von Mitarbeitern der Behörde am 18. November wird in einem Aktenvermerk auf die unveränderte Wohnsituation verwiesen. An den Händen des Jungen sei eine leichte Blaufärbung erkennbar gewesen. In der Wohnung sei es kühl gewesen, der Minderjährige habe während des Gesprächs zweimal kurz gezittert. Behördlich vermerkt wird auch, dass der Junge bei Fragen zur Mutter blickte, als ob er sich die Erlaubnis zur Antwort einholen würde. Opferanwalt Ruisinger kritisiert, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr im Verzug erkannt worden sei. Diese sei eindeutig vorgelegen. Vier Tage später wurde der Bub dann im lebensbedrohlichen Zustand ins Spital eingeliefert.

Warten auf Bericht

Nach Ansicht des Opferanwalts haftet nun das Land Niederösterreich "für das Fehlverhalten seiner Organe für die erlittenen Schäden solidarisch mit den im Strafverfahren angeklagten Personen". Das Land hat nun drei Monate Zeit, auf die außergerichtlichen Forderungen – 150.000 Euro Schmerzengeld, Haftung für zukünftige Schäden – zu reagieren.

Die Kinder- und Jugendhilfe hatte nach Bekanntwerden des Falls eine Prüfung der internen Abläufe angeordnet. Diese ergab, dass "alle rechtlichen und fachlichen Vorgaben eingehalten wurden". Die zuständige Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) kündigte aber wegen der im Gerichtsverfahren bekannt gewordenen Details eine neuerliche Prüfung der Causa an. "Diese Prüfung befindet sich in Finalisierung", sagte sie in einer Stellungnahme an den STANDARD. "Ich werde in vollem Umfang zur Klärung beitragen, sollte es zu einer Klage kommen." (David Krutzler, 15.4.2024)