Blick auf Gaswerk
Das Gaswerk Orenburg in Russland gehört dem Energiegiganten Gazprom – einem der größten CO2-Emittenten der Welt.
REUTERS/Alexander Manzyuk

Gerade einmal 57 Produzenten sind für 80 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen seit 2016 verantwortlich, wie kürzlich eine Analyse des Non-Profit-Thinktanks Influence Map ergab. An der Spitze der Liste, die ganze Staaten ebenso wie staatliche und private Unternehmen umfasst, stehen der Ölkonzern Saudi Aramco, der russische Energiegigant Gazprom und die indische Coal India, allesamt in staatlicher Hand. Dem Bericht zufolge ist der globale CO2-Ausstoß vor allem auf fossile Brennstoffe und die Zementproduktion zurückzuführen. Ein Ende ist momentan nicht abzusehen: Die Emissionen von Treibhausgasen sind im vergangenen Jahr wieder auf Rekordwerte geklettert.

In Österreich sind die Emissionen im Vorjahr zwar um etwa fünf Prozent gesunken, in einzelnen Bereichen gibt es aber immer noch Höhenflüge: Der Flugverkehr in Österreich hat im Jahr 2023 um 40 Prozent mehr klimaschädliche Emissionen als im Jahr 2022 verursacht – und für 2024 sei ein weiterer Anstieg zu befürchten, wie die Mobilitätsorganisation VCÖ am Montag mitteilte.

"Rasche und weitreichende Veränderungen": Nur so könnten die katastrophalsten Auswirkungen des Klimawandels noch abgewendet werden, wie der Weltklimarat und auch der Rest der Fachwelt gebetsmühlenartig wiederholen. Doch welchen Preis hat eine solche Transformation zu einer Gesellschaft, in der die CO2-Emissionen radikal gesenkt werden? "Die Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität geht immer mit einem gewissen ökonomischen Stress einher – manche Branchen und Arbeitsplätze verschwinden, dafür tauchen neue auf", sagt Johannes Stangl vom Complexity Science Hub (CSH) in Wien.

Ungarischer Datensatz

Stangl und sein Team haben daher eine Methode entwickelt, um herauszufinden, wie klimapolitische Maßnahmen so umgesetzt werden können, dass der wirtschaftliche Schaden möglichst gering gehalten wird. "Um die Auswirkungen von Maßnahmen einschätzen zu können, ist es nicht nur wichtig, die CO2-Emissionen von Unternehmen zu kennen, sondern auch ihre Rolle in der Ökonomie eines Landes zu verstehen", erklärt Stangl den Ansatz der Studie, die im Fachblatt "Nature Sustainability" erschienen ist.

Als Exempel für die Berechnungen diente ein Datensatz aus Ungarn, der fast 250.000 Unternehmen und ihre mehr als eine Million Lieferbeziehungen enthält und damit quasi die gesamte ungarische Volkswirtschaft abbildet. Anhand dieser Daten spielte das Forschungsteam insgesamt elf Szenarien mit verschiedenen klimapolitischen Interventionen durch, die alle zum Ziel hatten, 20 Prozent der Emissionen einzusparen. Würde man nur die Emissionen berücksichtigen, müssten lediglich die sieben größten Emittenten des Landes zusperren. "Gleichzeitig gingen damit aber rund 29 Prozent der Arbeitsplätze und 32 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes verloren. Das ist vollkommen unrealistisch umzusetzen", sagt Stefan Thurner, Leiter des CSH.

Ausschlaggebend dafür, wie sich eine bestimmte Klimapolitik auswirkt, seien die Beziehungen der Unternehmen untereinander, wie Stangl dem STANDARD sagt. "Wir haben Firmennetzwerke rekonstruiert und abgeschätzt, wie sich ein Produktionsstopp, also etwa Lieferengpässe und ein Abfall der Nachfrage, im gesamten Netzwerk und den Lieferketten fortpflanzen würde." Auf diese Weise konnten die Forschenden jedem Unternehmen einen Risikoindex zuteilen und damit einordnen, wie wichtig es für die Volkswirtschaft eines Landes ist.

23 Unternehmen müssten schließen

Aus den CO2-Emissionen und dem jeweiligen Risikoindex entwickelten die CSH-Forscher ein Ranking von Unternehmen, die relativ schmerzfrei ihren Betrieb einstellen könnten. Würden die Top 23 der Liste wegfallen, könnten so theoretisch 20 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden, während lediglich zwei Prozent der Arbeitsplätze und der Wirtschaftsleistung verlorengehen würden. Wie sich die Netzwerke rund um weggefallene Betriebe neu organisieren würden, wollen die Studienautoren in einer weiterentwickelten Version des Modells analysieren.

Gaswerk mit Flammen vor dunklem Himmel
Energieunternehmen sind ein besonderer Hebel bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen: Sie könnten theoretisch auf alternative Energiequellen umsatteln.
REUTERS/ANGUS MORDANT

"Wenn wir wissen wollen, wie sich Klimapolitik auswirkt, muss man diese Netzwerke berücksichtigen", sagt Stangl. "Es gibt systemisch essenzielle Unternehmen, die mitunter zu den größten Emittenten gehören, mit denen man aber sehr sorgsam umgehen muss." Energieunternehmen seien ein besonderer Hebel, da hier eine Transformation zu klimaschonenderen Energiequellen möglich und mit klimapolitischen Interventionen erreichbar sei. Bei anderen, sehr spezialisierten Industrieunternehmen würden Maßnahmen wie Förderungen oder Beteiligungen nötig sein, um die Produktionsprozesse umzustellen.

Während es in Ländern wie Ungarn, Spanien oder Belgien detaillierte Daten auf Unternehmensebene gibt, werden in Österreich Risikoeinschätzungen in der Regel auf Sektorenebene getätigt – also etwa, wie stark die gesamte Automobilindustrie oder Tourismusbranche von einer Maßnahme betroffen ist. "Dadurch entsteht ein Nachteil gegenüber anderen Ländern, wo die Mehrwertsteuer nicht kumulativ, sondern standardisiert für alle Business-to-Business-Geschäfte ist, wodurch umfangreiche Informationen über das Liefernetzwerk des Landes verfügbar sind", sagt Thurner.

Wachstum stoppen

Die Studie reiht sich ein in eine Debatte um sogenannte Degrowth-Strategien, die davon ausgehen, dass bestimmte, nicht unbedingt notwendige Formen der Produktion und des Konsums schrumpfen sollten, anstatt auf ewiges Wachstum ausgerichtet zu sein. Damit könnte auch der Druck, die Klimaziele zu erreichen, reduziert werden. Wie eine Studie des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg kürzlich am Beispiel von Australien gezeigt hat, könnte ein verlangsamtes oder gestopptes Wirtschaftswachstum zu einer schnellen Reduktion der Emissionen führen – sogar schneller als in sämtlichen Szenarien des Weltklimarats. (Karin Krichmayr, 15.4.2024)