Florian Tursky
ÖVP-Mann Florian Tursky (im Bild) unterstützt nach einer Wahlschlappe jetzt seinen Konkurrenten Johannes Anzengruber.
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Wahl Nummer zwei des Superwahljahres 2024 ist geschlagen – und sie barg gleich mehrere unerwartete Ergebnisse. Die größte Überraschung waren die beiden Wahlsieger selbst: Georg Willi, der amtierende Innsbrucker Bürgermeister von den Grünen, und Johannes Anzengruber, der vor der Wahl aus der ÖVP ausgeschlossen wurde und mit eigener Liste antrat, ziehen nun gegeneinander in die Stichwahl. Am 28. April wird feststehen, wer von den beiden Tirols Landeshauptstadt künftig regieren wird. Mehrere – auch österreichweit relevante – Erkenntnisse lassen sich aber schon jetzt von der Regionalwahl ableiten. Ein Überblick.

1. "Herbes Signal" für die ÖVP

Früher galt die eiserne Regel: Nur nicht zu viel in Regionalwahlen hineininterpretieren. Und eigentlich gilt sie noch immer. Die Auswirkungen von Landtagswahlen oder Gemeinderatswahlen auf die Bundespolitik halten sich oft in Grenzen. Bloß weil eine Partei regional stark ist, heißt das noch nicht, dass ihr auch österreichweit ein Erfolg bevorsteht. Dennoch gibt es zulässige Ableitungen – auch von dieser Innsbruck-Wahl, sagt der Politikwissenschafter Ferdinand Karlhofer von der Universität Innsbruck. Eine lautet: Für die gesamte ÖVP sei die Wahl in der Landeshauptstadt "ein herbes Signal".

Denn nachdem Innsbruck entweder weiterhin von einem Grünen geführt oder lediglich an einen abtrünnigen ÖVPler gehen wird, steht schon jetzt fest: Eisenstadt bleibt die österreichweit einzige Landeshauptstadt, die ÖVP-geführt ist. "Die einstige Großpartei ÖVP ist in Österreichs 'Metropolen' nicht mehr vertreten", sagt Karlhofer. "Die Zentren gehen nach und nach verloren und werden auch nicht mehr zurückerobert."

Video: Innsbruck-Wahl: Willi und Anzengruber in Stichwahl.
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2. Gute Umfragen verheißen noch keinen blauen Durchmarsch

Ob es um die EU-Wahl, die Nationalratswahl oder die Ende 2024 anstehende Steiermark-Wahl geht – wirft man einen Blick auf jüngste Umfragen, zeigt sich ein klares Bild: Die FPÖ führt sie alle an. Doch derlei Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, das zeigt sich einmal mehr in Innsbruck. Nachdem die Freiheitlichen vor wenigen Wochen in der Stadt Salzburg nur leichte Zugewinne verzeichnet hatten, stiegen sie in Innsbruck gar mit einem Minus von 3,4 Prozentpunkten aus. In den Umfragen war das nicht vorherzusehen, in Innsbruck war die nun drittplatzierte FPÖ teils gar auf Platz eins gelegen. Wobei anzumerken ist, dass sämtliche Meinungsforscher darauf hingewiesen haben, dass diese Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind.

Die Diskrepanz zwischen Umfragen und Wahlergebnissen ist insofern spannend, da die Freiheitlichen viele Jahre in den Umfragen deutlich schlechter abgeschnitten hatten als bei den Wahlen. Politikberater Thomas Hofer hat dafür folgende Erklärung: "Früher kam es zu einer Unterdeklaration, mittlerweile gibt es eine Überdeklaration." Der Politikberater meint: Die Bereitschaft, sich auch in Umfragen als Wählerin oder Wähler der FPÖ zu "outen", sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Und dafür gebe es mehrere Gründe.

Zum einen führt laut Hofer die aktuelle Themenkonjunktur – Stichwort Teuerung, Krieg, Migration und Corona – zu einer höheren Deklarationsbereitschaft zur FPÖ. "Die Leute haben das Gefühl, dass viele denken wie man selbst, was zu einem größeren Selbstbewusstsein und damit einer höheren Deklarationsbereitschaft führt." Außerdem hätten gute Umfragewerte für eine Partei den Effekt, dass sich noch mehr Menschen zu dieser Partei bekennen, "man möchte ja bei den Siegern sein", sagt Hofer. Nicht zuletzt würde die FPÖ bei immer häufiger durchgeführten anonymen Onlineumfragen tendenziell besser abschneiden als bei einer persönlichen Telefonumfrage. Da sei "diese Hemmschwelle, seine wahre Parteipräferenz offenzulegen, deutlich geringer".

Unbestritten ist wohl dennoch, dass die EU-Wahl wie auch die Nationalratswahl für die Freiheitlichen gut ausgehen werden – möglicherweise aber nicht ganz so gut wie prophezeit.

3. Eine Mehrheit Mitte-rechts ist kein Naturgesetz

Ein Blick auf die Mandatsverteilung im neuen Innsbrucker Gemeinderat zeigt etwas, das man gerade in der Hauptstadt des schwarzen Kernlands Tirol wohl lange nicht für möglich gehalten hätte: Es gibt eine Art Mitte-links-Mehrheit im Stadtparlament. Und das im bürgerlich geprägten Innsbruck, dessen Stadtchefs seit 1945 und bis zum grünen Amtsinhaber Georg Willi allesamt aus dem konservativen Lager kamen.

Grüne, SPÖ, KPÖ und die linksalternative Liste ALI kommen gemeinsam auf 19 der 40 Gemeinderatssitze. Zusammen mit den zwei Mandaten der Liste Fritz, eines recht liberalen ÖVP-Spin-offs, ergibt das eine Mehrheit. Gemeinsam mit der neuen Liste Anzengrubers, ebenfalls eine eher liberale ÖVP-Abspaltung, macht das 29 der 40 Sitze im Stadtparlament für ein fiktives Mitte-links-Bündnis. In der Zweiten Republik hatten bislang stets ÖVP, FPÖ und ihre jeweiligen Abspaltungen eine Mehrheit in Innsbruck.

Bei der Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl in der Festspielstadt Salzburg gab es im März überhaupt eine deutliche Mehrheit links der Mitte: SPÖ, KPÖ und Grüne kamen gemeinsam auf gut 61 Prozent der Stimmen. Die jüngsten Wahlergebnisse haben das Potenzial, eine scheinbare österreichische Sicherheit etwas aufzubrechen: dass außerhalb von einzelnen Städten und Ländern wie Wien, Linz oder dem Burgenland strukturelle Mehrheiten rechts der Mitte eine Art Naturgesetz sind.

4. Die KPÖ fasst Fuß

Die KPÖ fasst Fuß: Nach Linz, Graz und Salzburg ist es der Partei nun mit Innsbruck in der vierten Landeshauptstadt gelungen, in den Gemeinderat einzuziehen. Zwar kamen die Kommunisten in Tirols Landeshauptstadt lediglich auf 6,7 Prozent – und sind damit von den fulminanten Ergebnissen in Graz und Salzburg jenseits der 20 Prozent weit entfernt. Dennoch lässt sich sagen: Die KPÖ hat Potenzial. Bislang wurde es allerdings nur auf kommunaler Ebene entfaltet: Auf Anfrage des STANDARD lässt Bundessprecher Tobias Schweiger wissen, dass die KPÖ mittlerweile in 29 Gemeinden in fünf Bundesländern vertreten ist – und zwar in Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg, Tirol und in der Steiermark.

Ein österreichweiter Erfolg bei der Nationalratswahl im Herbst lässt sich davon zwar noch nicht ableiten, ist aber möglich: Derzeit liegt die KPÖ in österreichweiten Umfragen zwischen drei und fünf Prozent. Für den Einzug in den Nationalrat muss die Vier-Prozent-Hürde genommen werden. Auch der Politologe Karlhofer sagt: "Die KPÖ hat einen Aufschwung in mehreren Landeshauptstädten erlebt. Das ist ein Rückenwind, der auch in der Bundespolitik spürbar sein wird."

5. Die Neos verlieren an Halt

Für die Neos, die im Vorjahr ihren ersten runden Geburtstag gefeiert hatten, lief es bei Wahlen zuletzt alles andere als rund: Am Sonntag verloren die Pinken ihr einziges Mandat im Innsbrucker Gemeinderat. Das schlechte Abschneiden im urbanen, studentischen Gebiet dürfte die Partei besonders hart treffen, vermutet man in diesen Milieus doch die Kernzielgruppe der Neos. Und es war nicht die erste Schlappe in der jüngsten Vergangenheit: In der Stadt Salzburg hat die Partei vor wenigen Wochen gerade einmal mit einem Mandat den Wiedereinzug geschafft. Wahrlich erschüttert hat die Pinken allerdings die Wahl in Salzburg ein Jahr zuvor, als die Partei hochkant aus dem Landtag flog. Einzig im ländlich geprägten Bundesland Niederösterreich konnten die Neos im Jänner des Vorjahres einen leichten Zuwachs verzeichnen, dort hat man sich etabliert und hält bei drei Mandaten im Landtag.

Das schlechte Abschneiden in mehreren regionalen Wahlen habe durchaus generelle Auswirkungen für die Neos, sagt Karlhofer. "Wenn die Neos in wichtigen Städten und damit wichtigen Wahlterritorien nicht verankert sind, ist das für sie auch in Hinblick auf die Nationalratswahl ein Problem." In den bundesweiten Umfragen liegt die Partei seit vielen Monaten konstant bei rund zehn Prozent – viele sehen darin auch das maximale Potenzial für eine liberale Partei in Österreich.

6. Turskys Versagen zeigt einen Strategiefehler auf

Montagmittag trat Florian Tursky vor die Medien – sichtlich geknickt. Er hatte eine "persönliche Erklärung" angekündigt. Im Politjargon ist das ein Codewort für "Rücktritt". Es kam dann doch anders. Er gebe nun "eine klare Wahlempfehlung" für Anzengruber ab, erklärte Tursky, der trotz allem vorhat, in der Innsbrucker Kommunalpolitik zu bleiben. Tursky ist heute 35, viele Jahre lang war er die rechte Hand von Tirols Landeshauptmann Günther Platter, 2022 wechselte er in die erste Reihe und wurde Digitalisierungsstaatssekretär unter ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer. Eineinhalb Jahre später gab Tursky bekannt, dass er nach Tirol zurückkehren und die ÖVP in die Innsbruck-Wahl führen werde. Seit Sonntag ist klar: Dieser Plan ging nicht auf.

Tursky landete mit seiner ÖVP-Liste mit 10,4 Prozent nur auf Platz fünf. Vor der Wahl war er noch als möglicher Kandidat für die Stichwahl gehandelt worden – nicht zuletzt von sich selbst. Das Ergebnis ist eine Wahlschlappe für Tursky persönlich, wie auch für die ÖVP, die sich verspekuliert hat. Man hatte die politische Rechnung nämlich ohne Anzengruber gemacht.

Hintergrund: Der politische Quereinsteiger wurde vor vier Jahren auf einem ÖVP-Ticket Innsbrucker Vizebürgermeister. Bei der Volkspartei fiel der Gastronom aber in Ungnade, weil er nach Platzen von Willis Koalition unter ÖVP-Beteiligung weiter mit dem grünen Stadtchef zusammenarbeitete. Als Spitzenkandidat für die Bürgermeisterwahl nominierte die ÖVP deshalb Tursky als loyalen Mann auf Wiener Parteilinie. Der in Innsbruck beliebte Anzengruber rächte sich dafür per eigenem Wahlantritt – und zerstörte die türkisen Träume. Ohne neuerliche Aufspaltung des bürgerlichen Lagers wäre ein neuer ÖVP-Stadtchef am Inn sehr wahrscheinlich gewesen. Mit dem Absägen Anzengrubers für einen zentral eingesetzten Kandidaten aus Wien, der keine Mätzchen macht, hat sich die Volkspartei also einen strategischen Bärendienst erwiesen. (Katharina Mittelstaedt, Sandra Schieder, Martin Tschiderer, 16.4.2024)