Bundesheer Österreich
Militärübung im Wiener Neustädter Stadtgebiet mit rund 100 Soldatinnen und Soldaten
Heribert Corn

Österreicherinnen und Österreich sind nicht bereit zur Landesverteidigung. Das ergibt eine Umfrage des Austrian Foreign Policy Panel Project, abgekürzt AFP3. Das Projekt der Universität Innsbruck untersucht die Einstellung der Österreicherinnen und Österreicher zur Außen- und Sicherheitspolitik in insgesamt 75 Fragen mit mehreren hundert Variablen. Seit März werden diese thematisch gegliedert veröffentlicht, um die Ergebnisse Stück für Stück auf dem AFP3-Dashboard zu präsentieren. Die aktuellste Veröffentlichung gibt die vorherrschende Meinung über Wehrhaftigkeit und Solidarität wieder.

Das Ergebnis der Umfrage: Etwas über 14 Prozent der Befragten würden ihr Land im Falle eines bewaffnen Angriffs mit der Waffe verteidigen. Knapp 14 Prozent stimmten zu, Österreich solle im Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen anderen EU-Mitgliedsstaat diesem mit bewaffneten Truppen beistehen. 72 Prozent der Befragten gaben an, dass sie auf der anderen Seite aber durchaus erwarten, dass andere EU-Staaten Österreich militärisch verteidigen.

"Sicherheitspolitische Entrückung"

Unter Wehrhaftigkeit – so wird es auf der Homepage des Projekts ausgeführt – wird die Bereitschaft von Menschen definiert, im Fall eines Angriffs zur Waffe zu greifen und ihr Land zu verteidigen oder auch einen anderen militärischen Beitrag wie zum Beispiel die Herstellung kriegswichtiger Güter zur Verteidigung zu leisten. Die Forschung zeigte, dass unterschiedliche Faktoren die Wehrhaftigkeit von Menschen beeinflussen. Frauen seien etwa weniger bereit, zur Waffe zu greifen, was letztlich auch daran liege, dass sie oftmals keinen Wehrdienst leisten und ihre Bindung zum Militär daher geringer ausfalle, als es bei Männern der Fall sei.

Die Wehrhaftigkeit der österreichischen Bevölkerung gehört dem Projekt in Innsbruck zufolge im europäischen und globalen Vergleich zu den niedrigsten. Martin Senn, Politologe und wissenschaftlicher Leiter des Projekts, erklärt die mangelnde Bereitschaft zur Landesverteidigung und zur militärischen Unterstützung von EU-Partnern auch damit, dass die österreichische Bevölkerung "über lange Zeit mit keinen Fragen der Sicherheitspolitik und Solidarität konfrontiert wurde". Als neutraler Staat sei es so zu einer "sicherheitspolitischen Entrückung" gekommen.

Solidarität trainieren

Unter Rückgriff auf den deutschen Politikwissenschafter Herfried Münkler zieht Senn im STANDARD-Gespräch den Vergleich mit dem Training eines Muskels: "Solidarität muss trainiert werden, und das ist in Österreich eben nicht mehr passiert." Nicht nur in Österreich, sondern in Europa generell habe man seit Ende des Zweiten Weltkriegs angenommen, dass militärische Kriege der Vergangenheit angehörten. Im Fall von Österreich komme allerdings hinzu: "Österreich hat sich als Insel wahrgenommen, umgeben von Nato- und EU-Staaten. In der mentalen Geografie hat sich Österreich also weit entfernt gesehen von sicherheitspolitischen Problemen."

In Staaten, in denen eine hohe Wehrbereitschaft vorherrsche, werde Solidarität praktiziert, etwa durch einen längeren Wehrdienst. In Österreich hingegen sei das Milizsystem über Jahre hinweg reduziert worden – was "das Gegenteil einer Stärkung des Solidaritätsmuskels" bedeute, sagt Senn.

Solidarität nach innen und außen

Österreich hat sich mit seinem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1995 dazu bekannt, "sich in vollem Umfang und aktiv an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, so wie sie im Vertrag über die Europäische Union definiert ist, zu beteiligen". Die rechtlichen Grundlagen anlässlich des EU-Beitritts wurden um eine Bestimmung im Bundesverfassungsgesetz ergänzt. Dieser Artikel passt die Neutralität an die EU-Mitgliedschaft an. Seit Einführung des Artikels, merkt Senn an, "wurde aber nie diskutiert, was das bedeutet".

Dabei habe ebendieser Artikel (Art. 23j B-VG) "schon weitreichende Konsequenzen", weil er Österreich ermögliche, de facto die Neutralität einzuschränken. Das habe einen "Handlungsspielraum eingeräumt, ohne zu diskutieren, was das für uns für konkrete Folgen haben kann".

Die mangelnde Solidarität besteht der Umfrage zufolge nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Denn obwohl nur ein geringer Teil der Befragten dazu bereit war, selbst zur Waffen zu greifen, gaben gleichzeitig 47 Prozent der befragten Personen an, dass sich Österreich im Falle eines Angriffs durchaus militärisch verteidigen solle. Er sieht, resümiert Senn, die Umfrage nicht als Beleg für vorherrschende Klischees. Vielmehr zeige sie Probleme in der politischen Bildung, in der Kommunikation und Debatte über Sicherheitspolitik auf. (Anna Giulia Fink, 15.4.2024)