Mitte der 1970er-Jahre war den meisten klar: Das nimmt kein gutes Ende. Die Gurtpflicht in Österreich war absehbar und damit der sichere Tod für tausende Autofahrer – davon ließ man sich nicht abbringen. Reihenweise wurden Horrorszenarien erzählt, wie gefährlich der angelegte Gurt sei. Etwa, weil man sich dann nicht aus dem Auto befreien könne, sollte man in einen See fahren und untergehen.

Eine Frau die stolz ihren angelegten Gurt präsentiert.
Volvo brachte den Drei-Punkt-Gurt ins Auto und versuchte das Image für mehr Sicherheit mit knackigen Fotos aufzupolieren.
Volvo

Warum das schlichte Öffnen des Gurtes in diesem Gedankenexperiment keinen Platz und keine Sekunde Zeit hatte, ist nicht überliefert. Auch gibt es keine Statistik darüber, wie viele Autos damals für gewöhnlich in Seen landeten – geschweige denn, wie viele Insassen sich aus der Situation retten konnten, weil sie keinen Gurt angelegt hatten.

Wohl überliefert ist aber die Anzahl der Todesopfer durch Verkehrsunfälle in Österreich. Und die erreichte justament 1972 ihren traurigen Höhepunkt. 2948 Menschen starben in diesem Jahr im Straßenverkehr. Die Gründe für den bis dahin permanenten Anstieg der Todeszahlen sind heute bekannt. Die Anzahl der Autos stieg, die Fahrzeuge wurden stärker und schneller, die Infrastruktur wuchs aber nicht entsprechend mit.

Der Gurt als Beispiel

Trotzdem wurden Sicherheitsmaßnahmen von jeher erst einmal verteufelt. Das war nicht nur beim Sicherheitsgurt so, der ursprünglich schon 1902 erfunden wurde. Aber er gibt ein gutes Beispiel dafür, warum die Abneigung gegen Sicherheitsideen stets groß war.

Da ist zum einen die gefühlte Wahrheit, dass viele Autofahrer hierzulande davon überzeugt sind, besser zu fahren als alle anderen. Das hat in den 1970er-Jahren wohl noch mehr zugetroffen, als das heute der Fall ist. Inzwischen geben tatsächlich nur mehr etwas mehr 50 Prozent an, dass sie besser fahren als andere.

Stoßstange eines Autos
Mercedes-Benz baute 1973 Experimentier-Sicherheits-Fahrzeug ESF 22. Der dominante Frontstoßfänger war vor allem dazu da, die Insassen zu schützen. Heute Vorgaben zum Fußgängerschutz sind der Grund, warum es solche Stangln heute nicht mehr gibt. Der ESF 22 steht im Mercedes-Benz Museum in Deutschland.
Mercedes-Benz AG

Dazu passt, dass man sich nicht bevormunden, geschweige denn ins Fahren reinpfuschen lassen will – wenn man es doch ohnedies so gut kann. Und die ersten Sicherheitsgurte hatten auch tatsächlich ein Problem. Sie funktionierten nicht so wie heute, sondern sie waren fix und gaben nicht nach, wenn man sich nach vorne beugen wollte. Man war relativ starr an den Sitz gefesselt.

Zu Beginn verbaute man Zwei-Punkt-Gurte, entweder im Beckenbereich oder quer über den Oberkörper gespannt. Beide machten Probleme. Der Beckengurt sicherte den Oberkörper nicht, beim anderen bestand die Gefahr, dass man unterm Gurt durchrutschte. Erst nachdem 1959 Volvo den Dreipunktgurt präsentierte, begann langsam, aber eben sehr langsam dessen Durchbruch.

Verstärkte Kontrollen

Bis heute zweifelt am Nutzen des Sicherheitsgurts kaum noch jemand, obwohl die Polizei im Burgenland heuer besonderes Augenmerk auf Gurtmuffel legt – anscheinend reißt wieder der Schlendrian ein.

Die Geschichte des Gurts ist als Fall, wie der Nutzen einer Sicherheitseinrichtung im Mobilitätsbereich unterschätzt wurde, keine unterhaltsame Ausnahme. Beim Airbag war es nicht viel anders. Bereite Anfang der 1950er-Jahre wurde er als Patent angemeldet. Ab 1974 bot General Motors Airbags in einzelnen, besseren Modellen als Extra an. Die Verkaufszahlen blieben so weit unter den Erwartungen, dass die Airbags bereits zwei Jahre später vom Markt verschwanden.

Sehr schöne, geschwungene und verchromte Stoßstange eines Roadsters aus den 1940er-Jahren.
Mercedes-Benz baute, wie hier beim 500 K Spezial-Roadster (W 29) auch Stoßstangen, die vor allem schön waren. Heute wäre so ein Anbauteil undenkbar.
Mercedes-Benz AG

Zugegeben, Airbags sind sehr gefährlich. Zumindest wenn man nicht angeschnallt ist. Aber so dramatisch, wie es die Skeptiker wieder prognostizierten, kam es nie.

1981 verbaute Mercedes-Benz als erster deutscher Hersteller Airbags, gemeinsam mit Gurtstraffern. Als Extra. Heute sind in manchen Autos so viele Airbags verbaut, dass es zu Trommelfellverletzungen führen kann, wenn alle gleichzeitig zünden.

Teuer und unsexy

Es fällt auf: Es sind vor allem die teuren und komfortablen Autos, in denen Sicherheitsneuheiten erstmals eingebaut werden. Die Kunden dieser Fahrzeuge sind eben nicht sehr preissensibel – solche Neuerungen sind meist teuer – und sehen sich lieber als Early Adopter denn als alter Knauser.

Und da liegt auch schon ein wenig die Krux vieler solcher Sicherheitsneuerungen: Sie sind nicht cool, nicht sexy. Es sind Sachen, mit denen alte, unsportliche Männer angeben.

In der Folge war das ABS nicht schon 1966 ein Verkaufsschlager. Erst in den 2000er-Jahren hatten fast alle Neuwagen so ein System verbaut. Antischlupfregelung, Fahrstabilitätsprogramme und Notbrems- oder Kollisionsbremssysteme – keine dieser Einrichtungen stand zur Einführung auf dem Wunschzettel vom Traumauto junger Menschen weit oben.

Ein Mann in einem Auto mit aufgeblasenem Airbag
In den Mercedes-Benz S-Klasse der Baureihe 126 (1979 bis 1992) führt Mercedes-Benz den Fahrerairbag in Kombination mit dem Gurtstraffer für den Beifahrer in den Serienautomobilbau ein. Die ersten Fahrzeuge mit dieser Sonderausstattung wurden im Dezember 1980 ausgeliefert.
Mercedes-Benz AG

Inzwischen gibt es neue Sicherheitseinrichtungen, die aufregen. Darunter fällt etwa die Warnung, wenn das Fahrzeug erkennt, dass die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten wird. Oder Bremssysteme, die von alleine Gefahren erkennen und das Fahrzeug zur Not bis zum Stillstand verzögern.

Während Ersteres nur nervt – vor allem in einem Land wie Österreich, wo der weltbeste Autofahrer sowieso immer um mindestens zehn km/h schneller fährt, weil man dafür eh nicht gestraft wird –, ist beim zweiten Szenario die Angst sehr groß, dass einem der Hintermann auffahren könnte. Wir sind auch nicht das Land, das international für vorausschauendes Fahren und das konsequente Einhalten des Sicherheitsabstands bekannt ist – man kann die Sorge also nachvollziehen.

Tatsächlich passiert aber bei den neuen Assistenzsystemen etwas, das wir schon vom Sicherheitsgurt her kennen. Die Systeme funktionieren noch nicht friktionsfrei und nerven hin und wieder. Etwa, weil das Auto auf der Freilandstraße fälschlicherweise annimmt, in einer 30er-Zone zu sein, und piepst oder weil das Fahrzeug bremst, ohne dass ein Hindernis oder Problem auftaucht.

Ausschalten statt ärgern

Solche Fehler führen dazu, dass die Systeme oft einfach abgeschaltet werden. Das weiß auch der Gesetzgeber. Darum müssen sich bestimmte Systeme bei einem Neustart auch automatisch wieder einschalten. Denn noch etwas weiß der Gesetzgeber: Auch wenn diese Systeme manchmal nerven – sie helfen.

Die Anzahl der Verkehrstoten ist von knapp 3000 im Jahr 1972 auf 396 im Vorjahr gefallen. Gleichzeitig ist der Fahrzeugbestand von 1.460.163 Pkws auf 5.185.006 gestiegen – wie auch das Verkehrsaufkommen kontinuierlich zunahm, so man vom Corona-Jahr 2020 absieht. Die Statistik legt also nahe, dass die Systeme besser sind, als all jene glauben, die beim Fahren auch gerne am Smartphone wischen. (Guido Gluschitsch, 14.4.2022)